Ein Glas auf uns, und eins auf die See

Ich bin ein Bühnenmensch.
Setzt mich vor eine Bühne, auf der einer wirklich etwas zu sagen hat, der bewegend spricht und singt, und ich zehre wochenlang von der geschenkten Emotion. Von den zurückgebliebenen Worten in den schweren Vorhängen, vom Kegellicht das seinen Sprecher fokusierte, von der Stille die einen ganzen Raum füllte, das Parkett, einen Balkon, versehen mit roten Samtstühlen. Voll von allem unwirklichen Theaterzauber, von Atemlosigkeit und von Applaus.

Ich gehöre zu denen, die sich festsaugen. An der frisch seziert dargebotenen Seele, die ein guter Künster zu vergeben mag. Ich bin nicht die einzige die das tut. Weshalb sich Bühnenkünstler nach einem Auftritt meist so einsam fühlen und sich betrinken gehen. All die Seele ist nicht aufzuwiegen, mit keinem Applaus dieser Welt. Sie wird dargeboten, weil sie dargeboten werden muss, weil sie nicht anders kann. Aber sie kann auch weder ausreichend bezahlt, noch beklatscht werden, ohne ein Loch zu hinterlassen. Sie wird aufgesaugt, inhalliert. Von Zuschauern, wie mir.

Kürzlich habe ich die Seelen von Georgette Dee und Terry Truck aufgesaugt. Das habe ich früher oft getan, das letzte Mal vor 10 Jahren. Und dann in den letzten, nicht mehr wieder. Ich habe über lange Zeit ihre CDs weggepackt und nicht einen Chanson von ihnen mehr gehört. Obwohl sie gut sind. Unbeschreiblich gut. Und viele ihrer Lieder in meinem Kopf waren, auch wenn ich sie nicht hörte.

Vor gut 12 Monaten habe ich mir eine einzelne Konzertkarte gekauft und den Abend dann doch verstreichen lassen. Weil ich ihn nicht ausgehalten hätte. Weil zwischen dort oben und mir da unten, etwas geteilt wurde, was wir nie miteinander teilen wollten. Das Leben geht manchmal seltsame Wege. Und unsere haben sich auf Umwegen gekreuzt. Anders als man denkt und doch irgendwie genau so, wie man es sich nicht wünscht und wie es dennoch passiert. Und was, selbst wenn es irgendwann anzunehmen war, seinen Schmerz behält.

Diesmal war ich da. Diesmal konnte ich es.
Und sie waren gut wie immer, oder besser als je zuvor. Wenn ich in Georgette Dees Gesicht sah, dann trug es inzwischen unser beider Verlust von Jugend. Und ihre Worte eine Reife, die zum Gin im schweren Glas und zu allen zurückgelegten Wegen passten. Mag sie möglicherweise privat auch eine schwierige Diva sein, da oben ist sie groß und nur die Angezündeten können Menschen bewegen. Mit jedem Scherz, jeder inszenierten Attitüde, hinter der sich ein messerscharfer Schnitt versteckt. Mit jeder Leichtigkeit, der wuchtige Schwere folgt. Und Gnadenlosigkeit. Wenn man verstehen kann, was dieser kluge Kopf dort oben, gut pointiert erzählt. So weitab von Mittelmaß.

Den Traum vom Seemann und dem Prinzen und der Leidenschaft aus beiden. Von jedem ersehnt, im Leben immer bezahlt, ganz unmärchenhaft und real. Es träumt sich selten ungesühnt. Das weiß Georgette und schafft es im nächsten Augenblick „I will allways love you“, so reif und umwerfend ehrlich zu interpretieren, wie man diesen Housten Song noch niemals gehört hat. Ohne Schnickschnack und BlingBling, ohne entsetzliche Höhen, dafür mit aller Tiefe. So niemals. Je. Zuvor. Gehört.

Sie säuft sich wie früher über den Abend und es gibt kaum eine, die das so darf wie sie. Weil es so viele gibt, die selbst stocknüchtern nicht ihre Gingetränkte Wortgewaltigkeit erreichen könnten und ihre Lieder. Samtenschwer und unvergleichlich wie ihr Ausdruck. Und alle Einsamkeit, die sie erahnen lässt. Auch die eigene, die in den Rängen. Auf jedem Sitz, auf jedem Platz. Weil wir verdammt nochmal alle erst in den letzten 5 Minuten auf dem sinkenden Schiff, wirklich dazu bereit sind, alles an Liebe und Worten zu geben und zu nehmen, wozu wir sonst nicht fähig sind. Nicht seien können. Jetzt noch nicht. Keiner.

Am Piano Terry Truck, immer im Hintergrund und doch ganz weit vorne. Ununterbrochen den Raum in perfekte Melodien tauchend, in einen wundervollen Klangvorhang, der alles trägt und alles ummantelt. Der für sein Können, seine Professionalität, seine Zurückhaltung und so manches mehr zu verehren ist. Was wäre das Laute ohne das Leise, das Ungezügelte ohne Verbindlichkeit, das Drama ohne die Stabilität?

Wenn sie gemeinsam den Traum vom Seemann und dem Prinzen erzählen, sind sie wirklich unersetzlich gut.
Ich hatte fast vergessen, wie gut.
Nein, das stimmt nicht.
Aber inzwischen kann ich es wieder aushalten.
Und das ist noch viel besser.

Danke, Anais. Liebste Trümmerfee, für´s einfach Mitnehmen.
Ein Glas auf uns, und eins auf die See!

Candy Bukowski

IMGP4448

13 Antworten auf “Ein Glas auf uns, und eins auf die See”

  1. Einmal nur habe ich die beiden erlebt – und das ist ca. 10 Jahre oder mehr schon her. Aber dass ich es heute noch weiß, zeigt mir, wie sehr ich beeindruckt war, denn mein Gedächtnis kann sehr kurz sein.

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    1. Bei Fragen dieser Art liege ich erschreckend oft daneben, aber hier würde ich doch viel darauf wetten, dass das ein typischer Sven Regner Songtext ist.
      Berührend allesdings, in beiden Varianten :)

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