Fließen. Einfach wegfließen.

„Im Übrigen: du sprichst ja nicht!“
„Wie, ich spreche nicht?“
„Na, wie es Dir gerade geht. Was ansteht!“
„Wer mich danach fragt, dem antworte ich…“
„Tja, auf mich hast Du aber nicht ein Eindruck gemacht, als ob Du darüber sprechen möchtest!“
„Du hast mich doch nicht einmal gefragt…“.

Ah. Willkommen in der Parallelwelt.
Man hat ein Problem mit mir.
Weil ich wohl problematisch bin, wenn ich ein Problem habe.

Dabei wäre es doch so einfach:
Guten Tag. Mein Name ist Candy, ich habe ein eher blödes Herzproblem und
verliere auch ansonsten gerade meine soziale Basis. Darüber würde ich gerne mit Ihnen sprechen
„.

Mein zuständiger Agentur für Arbeit – Drache beispielsweise, hat genau das kürzlich deutlich verlangt. „Melden Sie sich bei mir! Egal was ist! Ganz egal, worum es geht! Weil… der Gesetzgeber, hat ganz klare Regularien. Wissen Sie, eigentlich bin ich auf Ihrer Seite, aber der Gesetzgeber… „.

Ich habe dem Drachen gesagt, er soll sich gehackt legen.
Und tun, was er tun muss.
Das sollten wir alle viel mehr. Tun, was wir tun müssen.

Ich tue das gerade. Ich tue, was ich tun muss.
Haltung bewahren, zum Beispiel. Da geht einiges an Energie dafür drauf, aber es lohnt sich. Ohne eine gewisse, bewahrende Haltung, würde ich mich möglicherweise ins Nichts auflösen. Alles an mir, würde beginnen zu schwimmen, sich zu verflüssigen, das Aggregat wechseln. Und fließen. Einfach wegfließen.

Flüssig werden, geht unheimlich schnell. Ich erschrecke, wie schnell das gerade geht. Wenn die Haut dünner wird, löst sich die Schutzschicht auf, die normalerweise Deine emotionale Intimität schützt. Mit ihr kannst Du über alles ohne verräterischen Stimmknacks sprechen und tätschelnde Hände auf Deinem Unterarm akzeptieren, ohne den unbändigen Reflex, sie wegzuschlagen.
Mit ihr bist Du im Rahmen Deiner Selbstbestimmung.
Ohne sie, im dümmsten Fall völlig unbegrenzt.

Diese Scheiß Herzmedikamente haben Dünnhäutigkeit auf dem Beipackzettel. Lustige Vorstellung: würde man sie Ratten geben, würden sich die Tierchen beim Verbluten glatt selber leid tun. Aber wer käme denn auch auf so etwas? Schon gewusst? Macumar ist Rattengift. Aber Hauptsache, es hilft. Himmel! Stell Dich doch nicht an!

Der souveräne, menschliche Zustand der Verständigung.
Der ist äußerst beliebt. So offen und kommunikativ, ohne dass man sich plötzlich einem Dünnhäutigen in verflüssigter Form gegenüber finden müsste. Der gerade damit zu tun hat, daß ihm sein Gesicht nicht aus dem Kopf fällt. Das ist nicht schön, wenn alles so aus der Form läuft. Das will keiner sehen, vor allem will das keiner sein.
Ich nicht. Ich will das nicht sein. Nicht völlig unbegrenzt.

Deshalb: Haltung bewahren.
Das hat viel mit durchhalten zu tun.
Und jede Verflüssigungsgefahr meiden. Zu viel Wärme, zu viel übergriffiges Handauflegen. Zu viele Röntgenblicke.

Ich kenne eine, die meine grundlegenden, aktuellen Eckdaten kennt. Und wann immer wir uns begegnen, schaut sie mich seit einiger Zeit so durchdringend an, als würde sie etwas in meiner Aura lesen können. Als wären alle Antworten auf ihre Fragen dort hinein gestanzt. Aber sie fragt mich nichts. Nicht ein klitzekleines Wörtchen kommt neben Smalltalk über ihre Lippen.
Aber sie schaut. Mich. An.

Ich könnte ihr die Wahrheit sagen.
Ich könnte sie sachlich über meinen anstehenden Eingriff informieren. Dann hätte ich gesprochen und könnte mir endlich mal wieder ein paar Kommunikationskarmapunkte aufs miese Konto buchen. Und sie, würde mit durchdringendem Blick nicken. Und vielleicht „puh“ sagen. Ergänzt durch ein paar positive, sachliche Worte. Daß das schon wieder wird … und alles Gute.

Ich könnte noch ehrlicher sein, und ihr sagen, daß ich eine Scheißangst habe. Vor dieser Sache, die mir mehr als ein Termin ist. Und vor mir selbst, in diesem mehr aus allem an Termin.
Und dass damit vermutlich ja auch nicht alles gut sein wird, sondern nur anders und klarer. Aber dann würde ich vermutlich ins Flattern und Fließen kommen und mir wie die Ratten selber leidtun. Und das täte mir dann wirklich leid.
Denn sie würde auch in diesem Fall „puh“ sagen und ein paar positive, sachliche Worte. Und wenn sie ihren Empathietag hätte, dann würde sie womöglich noch ihre Hand auf meinen Unterarm legen, wobei das nur schwer vorstellbar wäre. Und dann wäre ich jenseits jeden Rahmens und keinem würde es danach besser gehen.

Weil sich Menschen bei manchen Dingen gerne mit einer riesigen Bleischürze hinter einem gewaltigen Ratioschutzschirm verstecken, und ich mache dabei wohl keine Ausnahme. Aktuell nur auf der anderen Seite, dieser grünmetallenen Tür mit dem schlichten Radioaktivitätszeichen in der Ecke:

Nuklearraum. Bitte achten sie auf ihre Emotionswelten,
sollte überraschend gesprochen werden!

Nur bei den ganz, ganz wenigen hin- und wieder loslassen.
Bei denen, die halten können.
Es aus.
Und durch.
Und mich nötigenfalls auch.
Für einen Moment. An Ehrlichkeit und warmen miteinander sein.
Fließend.

Candy Bukowski

 

23 Antworten auf “Fließen. Einfach wegfließen.”

  1. Scheiße. Scheiß auch auf die Kommunikationskarmapunkte. Aber scheißen Sie bitte nicht auf Ihre eigene Stärke. Und wer könnte angesichts dessen, was Ihnen bevorsteht schon sachlich bleiben? Ich wünsche Ihnen viel Kraft, Frau Bukowski.

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    1. Danke, nehme ich. Ich finde, ein gutes Grundmaß an Haltung, hilft, die eigene Stärke in Teilen zu bewahren. Klingt ein wenig nach dem Kurs „Dir selbst Motivations-CD werden“, aber was solls, nicht wahr? Grüße!

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  2. Zwei Gedanken: Zum einen fühle Dich gedrückt und ja man kann auf der anderen Seite des Röntgenraumes nicht viel mehr sagen und machen als warme Worte zu wünschen.

    Zum anderen solltest Du allerdings auch nicht vergessen wie sehr andere Menschen ihre „stiff upper lip“-Fassade aufrecht erhalten, obwohl hinter der Fassade der blanke Horror sitzt. Ich nehme immer gerne das Beispiel einer Fehlgeburt. Als meine Frau eine Fehlgeburt hatte war es keine schöne Zeit. Durch die Gespräche mit anderen ist uns allerdings bewusst geworden, dass es relativ viele Fehlgeburten gab und gibt. Es ist deutlich geworden, dass wir mit unserer einzigen Fehlgeburt zwar eine schlimme Erfahrung gemacht haben, aber dass andere Menschen gibt, die das mehrfach bereits mitmachen mussten. Ob Fehlgeburt, Krebs, häusliche Gewalt, Arbeitslosigkeit, Herzprobleme. Jedes „Problem“ ist anders und man kann es nicht miteinander vergleichen, da den jeweils Betroffenen ihr eigenes Problem das Wichtigste ist. Aber Menschen können Dir davon berichten wie sie mit der damaligen Situation umgegangen sind. Da sind vielleicht nur 5% relevant für Dich, aber vielleicht sind es die wichtigen 5%, der eine Hinweis, der Dir u. U. einiges an Erfahrungen erspart. Natürlich kann es sein, dass sich die von Dir beschriebene Frau das Maul zerreißt. Mein Eindruck ist allerdings, dass beim Thema ernsthafte Krankheiten die Menschen sehr sensibel und empathisch reagieren. Jeder so gut oder schlecht wie er kann. Negative Erfahrungen werden dabei nicht ausbleiben, aber Du wirst auch positiv überrascht sein. Trau Dich

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    1. Danke, für die vielen und langen Gedanken, lieber SirAlec. Ich werde mal wirken lassen. Klar ist jeder wie er ist. Und selbstverständlich gibt es das eigene Problem in x-fachen Ausfertigungen. Was ich einfach nicht mag ist, mich rationalen Standardantworten zu ergeben. Nur weil ich eine Eremitenseele habe, ist diese nicht emotionslos. Im Gegenteil. Gerade deshalb schützt sie sich ja manchmal. Und manchmal legt sie alles auf den Tisch. Grüße nach Bayern. Und danke, für die Wünsche!

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      1. Ich denke, dass Du in Deinem Leben schon eine Menge Herausforderungen gemeistert hast. Führe sie Dir einfach noch einmal vor Augen und schöpfe die Kraft für die nächsten Wochen.
        BTW, so kann man sich täuschen. Basierend auf Deinen Einträgen drängte sich nicht der Eindruck auf, dass Du eine Eremitenseele hast :)

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      2. Da kannst Du mal sehen. Manche Eremiten tanzen auf den Tischen, weil das die sichersten Plätze zum alleine sein sind ;) Nein, im Ernst: in letzter Konsequenz eremitisch ja. Aber ich lebe nicht in der Höhle. Und die Kraft für die kommenden Wochen habe ich. Genau deshalb. Seltsam, wie man so ticken kann, was?

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  3. Und wieder ein Text von dir, der berührt… Ich wünsche dir, dass Momente da sind, in denen du gehalten wirst, die ehrlich und warm sind, die fließend sind… und immer wieder ganz viel innere Kraft bei dem, was du im Moment erlebst!

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  4. Ich wünsche dir, dass alles irgendwie so dahin-, durch- und schlussendlich wieder zusammenfliesst, dass du dich darin gleichzeitig umspült und sicher gehalten fühlst.

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  5. Candy, ich bin weder gläubig noch mache ich mir was aus Gott – zumindest denkt das meine Logik. Nur bei einer einzigen Sache mache ich eine Ausnahme: Ich glaube ganz fest daran, dass irgendwer – sei es Gott, sei es Schicksal, sei es XYZ – unser Leben bestimmt und wir diesem Leben nicht einen Tag hinzufügen oder wegnehmen können. Sicher können wir versuchen, gesund zu leben, in gewisser Weise vorsichtig zu sein – aber wäre es uns bestimmt, am 1.2.34 zu entschlummern, dann würde uns eben mangels einer Krankheit, weil wir ja so gesund gelebt haben, ein Ziegelstein oder ein fliegendes Auto treffen. – Ich wünsche dir, dass du Vertrauen in dich, in deine Zukunft und in die Medizin hast, damit sich dein dir bestimmtes Weiterleben auch erfüllen kann.
    Alles Gute wünscht Clara

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    1. Danke für die guten Wünsche und Deine große Offenheit, Clara. Ganz leise unter uns Zwei beiden: dass alle elementaren Kreuzungen im großen Plan schon immer für alle Zeit verzeichnet sind, daran glaube ich auch. Möglicherweise mit ein Grund, weshalb ich „die aktuelle Ecke als etwas zugig empfinde“.
      Aber davon ausgehend, dass kaum ein Mensch durch den Tag schlendert und sich täglich dabei „von allen Mächten wunderbar geborgen“ fühlt, halte ich tatsächlich auch meinen Einsatz an Vertrauen für im Bereich des Normmaßes. Wird schon alles werden ;) Herzlicher Gruß, Candy

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  6. Manchmal rettet uns nur das Schreiben aus und in einer Situation. Dass du dafür die Kraft hast und daraus deine Kraft ziehst, finde ich klasse. Ich wünsche dir weiterhin viel Durchhaltevermögen!

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    1. DANKE! Danke für diesen Kommentar über Macht und Kraft des Schreibens, der anderen Form der Auseinandersetzung mit den Dingen. Du hast mich erkannt, ich freue mich! LG Candy

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  7. Alles, was gesagt und gewünscht werden kann, wurde schon gesagt und gewünscht. Trotzdem, hier ist noch eine, die an Sie denkt und Haltung und Gehaltenwerden wünscht. Eine, die bei anderen Menschen auch häufig nur schaut und denkt statt fragt, aus Angst, die dünne Haut zum Zerplatzen und den Menschen zum Zerfließen zu bringen.

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  8. Ja zu all diesen formidablen Kommentaren. Mögen sie für Dich hilfreich sein!
    Für mich schreibst Du KLARTEXT, das finde ich angesichts des Kommenden höchst bewundernswert!
    Meine besten Wünsche!

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