So lange. Bis zum Irgendwann.

Irgendwann war irgendetwas schiefgegangen.
Vor Jahren im großen Ganzen. Und im Anschluß seitdem immer wieder im Kleinen, das einfach kein großes Ganzes mehr werden wollte . Irgendetwas war niemals mehr richtig. In den Anfängen. In Alltagsverschnitt, in Alleinefragmenten und Herzbruchstücken.

Es gab immer einen Punkt, an dem wie im Zeitraffer alles in sich zusammenfiel, als würde ihm eben der Boden des großen Ganzen fehlen. Aber er erschloss sich immer nur im Rückblick, nie in der Voraussicht, oder mittendrin, dann wenn noch etwas zu tun oder zu lassen, möglich sein könnte.

Was wohl auch viel zu einfach gewesen wäre.
Leben tickt nicht so. Zumindest nicht ihres.
Ach was, vermutlich tickte sie einfach selbst nicht so richtig.
Was will man schon alles aufs Leben schieben? Als wäre es abgetrennt, von einem selbst. Oder würde irgendwo anders hingehören. Als sei es dem Schicksal, der Zeit, der Vergangenheit oder den Dingen geschuldet. Dabei schuldet man es doch immer nur sich selbst.

Also sie.
Sie hatte sich selbst, nie in der Voraussicht erschlossen. Immer nur im Blick zurück, mit steiler Falte zwischen den Augenbrauen und übermäßig angespannter Stirn. Zu der sie immer erst dann verwundert griff, wenn der Kopfschmerz übermächtig wurde. Man mag es kaum glauben, wie schwer es ist, ein Gesicht zu entspannen. Muskulatur loszulassen, die an Gedanken festhält, oder sich um Sorgen windet, bis alles zu einem Ausdruck versteinert. Man muss ihn mit Fingern berühren, um ihm seine Existenz zu beweisen. Ihn manuell aufbrechen, um für einen kurzem Moment frei und leer zu sein. Schmerzfrei gedankenlos. Und offen.

Irgendwann war irgendetwas schiefgegangen.
Immer wieder unterbrochen von Glückssequenzen und erleichtertem Aufatmen.Vielleicht auch dem voreiligen Glauben daran, dass eine schlechte Phase bezwungen sei, und in lebensbejaender Zuversicht, alle Wege nun wieder auf ebenso richtig, wie richtungsweisend stehen.
Alles hat bekanntlich seine Zeit. Wachsen und Zerstören, Aufbau und Verfall, Leichte und Schwere, Gut und Böse. Alle Polarität der Dinge, die es anzunehmen gilt und durchzuhalten.

Die bekannten 7 Jahressprünge, in deren Verlauf man selbst und die Dinge wieder zueinander passen. Und noch während sie alle 7 nachzählte, war sie verwundert ob der langen, überstandenen Zeit. In der sich Verlust an Verlust reihte, und ganze Jahre ohne weiteren Menschen, bis endlich wieder jemand zuzulassen war. Und bereit, sich einzulassen. Wenn auch nicht zu bleiben.

Irgendwann war wieder irgendetwas schiefgegangen.
Und dann. War es gut.
Wie man das eben so sagt, wenn natürlich noch lange rein gar nichts gut ist, aber es endgültig wieder gut werden muss. Nichts geringeres, als eine Sache des Überlebens. Wofür man manchmal bereit sein muss, fast jeden Preis zu begleichen. Den eisernen und den goldenen. Sogar den verletzenden und gerade den unverzeihlichen. Und, als wäre es nicht bereits genug, die vielen hunderttausend dazwischen, die nach und nach ins Vergessen abbezahlt werden müssen.

Wenn die Erinnerungen kamen, die Erinnerungen und die Vertrautheiten, hatte sie damit begonnen, sie wegzujagen und nach ihnen zu schnappen. Wie nach einem Rudel wilder, räudiger Hunde, die mit gebleckten Zähnen um ihr einsames Haus streiften. Die sie anfallen und zerfleischen würden, wenn sie nur einen Moment lang nicht wachsam genug war, um die Oberhand zu behalten und Distanz auszusprechen.

Geht weg!, dachte sie dann fast ununterbrochen im Kreis.
Geht weg! Geht weg und beibt mir vom Hals, es muss wieder gut werden können.

Einige wenige Male, hatte sie ihr Mantra mitten in die Stille laut ausgesprochen und war vor sich selbst erschrocken. Wie hart sie klang, um bloß nicht mehr weich zu werden.

Solange, wie sie Angst vor dem Schmerz hinter der tiefen Stirnfalte haben musste.
Vor der schlaflosen Nacht und dem viel zu frühen Morgen.
Der Sorge um ihr blutendes Herz im einsamen Haus.
Und dem Rudel wilder Hunde davor.
Solange, wie sie nie wieder einem Fremden irgendetwas über sich erzählen wollte,
und nichts erfahren. Rein gar nichts erfahren, über fremde Mächtigkeiten.

So lange Zeit.
So lange, bis zum Irgendwann.
Bis alles wieder gut geworden sein würde.

Und es war ja noch immer,
alles wieder gut geworden. Irgendwann.

Candy Bukowski

11 Antworten auf “So lange. Bis zum Irgendwann.”

  1. Danke :-)..aber kein schöner Zustand!..Ihre Worte bejetzigen mich, Frau Bukowski-auch dafür ein Schöndank

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