Bukow´sche Bauchnabelshow

Mit 12 haben mich meine Eltern ins Theater mitgenommen. Was vorher auf die Helden der Puppenkiste und kleine Kinderstücke in kleinen Hinterhoftheatern begrenzt blieb, zeigte sich mir plötzlich urgewaltig groß und beeindruckend. Eine Abendvorstellung im Stadttheater, gegeben wurde Lessing. Nathan der Weise, ich sehe ihn bis heute vor mir, wie er die Schlußszene am Bühnenrand sitzend, mit direktem Blick zum Zuschauerraum spricht.
Niemand dürfte mich heute ad hoc fragen, worum es in diesem Stück überhaupt geht, ich habe es schlicht vergessen. Aber diese Schlußszene blieb, so wie die Liebe zum Theater, und die Erinnerung, dass an diesem Abend etwas begann.

War ich vorher auch für alle netten, vortragbaren Gereimtheiten der Familie zuständig, an diesem Abend zückte ich spät nachts bei Taschenlampenlicht Block und Stift und verfasste eine Rezension. Eine kleine, jugendliche Hommage ans Theater. So schwer, wie es mich beeindruckt hatte. Und schickte – die Verwegenheit war mir schon früh in die Wiege gelegt – diese handschriftliche Offenbarung an die örtliche Tageszeitung. Unaufgefordert. Ich fand einfach, dort wäre sie wohl gut aufgehoben.

Zur allgemeinen Familienfreude fand sich mein Text am folgenden Wochenende auf der letzten, der Kinderseite, der Augsburger Allgemeinen wieder. Gedruckt! Auf Papier! Für alle Zeiten öffentlich festgehalten. Zusammen mit einem Aufruf, dass sich die Redaktion über weitere Kulturzuschriften von Jugendlichen freuen würde. Ich kann mich heute auch nicht mehr an den Inhalt meines Textes erinnern. Vermutlich bewahrt ihn mein Paps noch immer sauber abgeheftet in seiner jahrzehntealten Hängeregistratur auf. Unter C, wie Candy. Neben alten Impfpässen, einem verjährten blauen Brief und anderen Schätzen, die ich nie mitgenommen habe. Man könnte suchen gehen, ich verwette mein Jahresglück 2014 darauf, dass er sich dort finden würde.

Ebenso sehr wie das Theater, hat mich allem Anschein nach beeindruckt, dass ich gedruckt wurde. Verwegenheit ist ja in erster Linie eine Haltung der Hoffnung, nicht der Überzeugung, wirklich etwas zu können. Aber das Wollen. Das ist groß.

Kurz und gut, mit diesem Tag bin ich Wort und Sprache treu geblieben.
Habe geschrieben und notiert, in Schubladen gelegt, verschenkt, eine Ausbildung zur Buchhändlerin gemacht, Verlagen auf der Seite des Umsatzes gedient. Mich später wieder ans Wollen erinnert, ein Kabarettprogramm mit Chansontexten geschrieben, es mit Blut, Tränen und professioneller Hilfe auf die Bühne gewuchtet, einen kleinen Preis eingeheimst, habe mir am dauerhaften Lampenfieber die Flügel verschmort und mich zurück an den Schreibtisch verzogen.

Genetztwerkt und nun beruflich geschrieben. Über Lust, Liebe, Leben, über Außenseiter und Insider, über Lifestyle und Grenzgänger. Ich habe das nie gelernt, ich habe es einfach gemacht. Und ich wusste immer, wo meine Grenzen liegen. In der Kolumne war ich zu Hause, im schnellen, gezielten Text, unter Ausnutzung eines breiten Wort- und Sprachraumes. Die Beste von allen, 30 Jahre ehrlichste, herzlicheste Freundin, scheltet mich bis heute für meine Flüchtigkeitsfehler und die mangelnde Interpunktion, aber ich weiß, was ein Text ist der zieht, und was eine überraschende Wendung, was eine gute Pointe ist.

In der Kolume, im Essay – nicht immer geistreich, aber meist auf den Punkt – da konnte ich mich irgendwann auf mich verlassen. Ich kenne aus diesem Genre meine wirklich guten Texte, auch die eher mauen, aber das ist der Boden, auf dem ich ordentlich abzuliefern verstehe. Lessing, Nathan und der Augsburger Allgemeinen sei Dank.

Aber erzählen… eine gute Story bauen… eine, in der Menschen atmen und Autos fahren, in der ein kleines Stück Welt lebendig wird, und mit Glück 5 gezielte Worte das Lebensthema eines Protagonisten zu einem unumstößlich klaren Bild formen… eines das mitnimmt, das trägt… über alle folgenden Absätze hinweg, hin zu einem leichten oder wuchtigen, aber merkenswerten Schluß… der nicht Ende ist, sondern womöglich Anfang…

zu erzählen… das vermag ich nicht.
Da war ich mir 25 Jahre lang, absolut sicher.
Davor habe ich gescheut, wie das Pferd vor dem Oxer.
Davon lag, im Gegensatz zu anderen Wortkünstlern, auch nie etwas in heimlichen Schubladen.

Und dann wollte mir Mitte 2013, in einer Nacht, plötzlich kein kolumnistischer Essay fürs Herrengedeck gelingen. So sehr ich ihn auch in Form dengeln wollte, er blieb sperrig. Und ich habe ihn in die Tonne getreten und statt dessen erzählt. Ganz klein. Ziemlich unbeholfen, auf fremdem Terrain. Kein Reisser. Ein kleiner, leiser Text. Aber erzählt.

Es hat sich einfach so ergeben. Der Text und ich waren völlig überrascht voneinander.
Und was einmal klappt, kann ein weiteres Mal funktionieren. Deshalb bin ich zur Wiederholungstäterin geworden. Und seitdem feile ich mich etwas entgegen, das ich gerne wirklich können möchte. Immer mehr, immer besser, immer wieder anders. Neue Worte finden, neue Geschichten, neue Blickwinkel. X-mal im ergebenen Mittelmaß bleiben und beim x-teneinmal wissen, das ist jetzt wirklich gut. Das Wort, der Satz, das Bild. Mit viel Glück und Spucke, der Text als Ganzes. Immer wieder leicht rangehen, schwer Gas geben und gut abliefern. Ohne eine Wissenschaft daraus zu machen. Das ist tatsächlich das, was mich treibt. Und was begeistern mich unter dieser Prämisse, auch Sätze, die ich bei anderen finde. Auch wenn ich mir manchmal die Haare raufen möchte, dass mir genau dieser nicht selbst eingefallen ist. Liegt doch so nah, ist doch so klar. Aber wie schön, dass es ihn gibt.

Und warum nun, diese ganze Bauchnabelschau?
Die – ausgerechnet – keine Erzählung ist, sondern mit Mut und Mühe unter Essay verbucht werden darf?
Weil es wieder einmal an der Zeit ist, verwegen zu sein.
Weil der alljährliche „Förderpreis Literatur der Stadt Hamburg“ auch 2014 wieder ausgeschrieben wurde und ich die kommenden beiden Monate nutzen möchte, um die möglichst besten, meiner Texte als Arbeitsproben dafür auszuwählen. Was gibt es schon zu verlieren? Nichts. Na, das ist doch mal erfreulich!

Dass ich mich am vergangenen Pfingstwochende allerdings dabei ertappte, dass ich ehrlich gesagt keinen blassen Schimmer mehr habe, welche Texte en detail ich in den vergangenen 12 Monaten auf diesem Blog verbrochen habe, das war eine lehrreiche Erfahrung. Gekürt von der Einsicht, dass sich das pronto! ändern muss.

Inzwischen weiß ich, es waren 103. Bessere und schlechtere.
Ich erinnere mich wieder an ihre Titel, kenne ihre Haupttags und Genres, ihre Veröffentlichungsdaten und ihre grundlegende Relevanz nach Leserbeurteilung, ob geliked oder kommentiert. All das, was sich über die WordPress Datenbank nur unzureichend, auf 20 Herumklickerseiten zusammenkramen lässt. Und wenn Du hinten durch bist, hast Du den Anfang wieder vergessen.

Weshalb ich in einem Anfall von Strukturwunsch und – willen eine Exceltabelle erstellt habe.
Ich. Die ich nichts mehr verachte, als Zahlen und Exceltabellen.
Habe Worte und Sprache 10 spaltig verformelt.
Um ab sofort und künftig, ganz genau zu wissen, was ich von dem geschrieben habe, das ich gar nicht kann.

Ihr hört mich, über mich selbst, laut lachen.

Candy Bukowski

46 Antworten auf “Bukow´sche Bauchnabelshow”

  1. Unser deutsches Talent für Organisation und Planung schlägt durch, wie?
    Viel Erfolg bei dem Wettbewerb. Einige recht prachtvolle Pferdchen können Sie ja durchaus an den Start bringen.

    Like

    1. Dankeschön, für den Zuspruch. Und ja, es ist absolut erschreckend, mit der deutschen Ordnung! Andererseits könnte ich italienisch nur die Achseln zucken und „che diavolo, non importa“ rufen. Ich habe beschlossen, meine Tabelle zu mögen :)

      Like

      1. Erzählen Sie es nicht weiter (also löschen Sie diesen Text gleich wieder), aber ich habe eine Schwäche für Excel-Tabellen. Ersetzen mir die Candy-Crush-Spielereien der Anderen, wenngleich ich auch nie in der U-Bahn „gespielt“ habe.

        Like

      2. Man sollte Schwaechenbekenntnisse niemals löschen lassen, das sind doch die schönsten. Exceln Sie ruhig glûcklich weiter, ich finde, Männern steht ein Hang zum Verformeln ausgesprochen gut. :)

        Like

      3. Gerade fällt es mir wie kleine Hütte von den Augen, da ich heute morgen von Candy-Crush sprach, Werteste tragen ja erstteilig selbigen Namen. Das war unbedacht von mir. Sie waren nicht gemeint und sollen auch nirgendwohin crushen….sondern Trophäen sammeln…..wollte ich nur gesagt haben. Einen Schönen Abend noch!

        Like

      1. Was heisst´n hier “ … richtig gute Leute …“, hm ??? Und als was betrachtest du dich ? Los, ran da, aber zackig – vielleicht gewinnst du ja nicht auf Anhieb, aber wenn du es nicht versuchst, wirst du es nicht erfahren! Und irgendwas sagt mir, dass du zumindest Vorne irgendwo mitmischen wirst … ;-)

        Like

      1. au ja. am besten an einem plätzchen, wo man die platten buchhändlerfüße in einen kühlen fluss halten kann. praktizierst du noch, wenn man fragen darf?

        Like

      2. Das machen wir mal, egal ob Alster oder Spree :)
        Nimmst Du mich auch, wenn ich seit 20 Jahren nicht mehr praktiziere? Oder zumindest anders, jetzt wieder für Verlage, draußen an der Front, also zB. bei Buchhändlern, wie Dir.

        Like

      3. oh, ich bin ja auch raus, seit 3 jahren jetzt. aber verlagsvertreter sind immer willkommen, die goldigen… an die vertreterreisen denke ich immer gern zurück.

        Like

  2. echt, ich glaub, ich muss mich auch bei gelegenheit mal rückwärts durch dein blog lesen. dein stil ist köstlich.
    daumendrückend für den förderpreis grüß ich dich aus dem süden
    soso

    Like

  3. In ihrem hilflosen Ansprucht, am Ende für das größte aller Rätsel die Formel zu finden, ist dieses Geschlecht in der Tat recht ehrgeizig und erfinderisch und entdeckt nebenbei (quasi als Abfallprodukt) solche Dinge wie Quantenmechanik usw…..

    Aber ich will Sie jetzt nicht ablenken: schön sortieren bitte, ein wenig feilen vielleicht noch und dann gewinnen!!!!!

    Like

  4. Wenn nicht du, wer dann? So musst du denken und so darfst du es auch, bei deiner Art zu schreiben. Immer wieder lese ich deine Texte und bin so froh, mit ihnen auf Gedankenreise mitgenommen zu werden. Die Auswahl eines Textes ist schwer, das weiß ich von den zwei Lesungen, die ich halten durfte noch sehr genau, aber gepasst haben sie dann doch. Und wenn man dann merkt, dass es genau die richtigen Worte und Zeilen waren, die man auswählte, dann ist jede Skepsis verflogen. Also ran, such dir den einen Text heraus und dann weg mit ihm!

    Like

      1. Das hätte mich auch gewundert, wenn Du hochnäsig wärst.

        Wie viele Werke wirst Du einreichen? Habe den Link nicht gelesen.

        Like

      2. Man darf bis zu 30 Seiten einreichen.
        Wenn ich die „Verpassten Gelegenheiten“ als großen 10 Seiter nehme, bleibt noch für ca. 6 der druchschnittlich langen Texte Platz.

        Like

      3. Hm, die ganze Excel sicher nicht, da ist auch zuviel Schwaches dabei. Die Proben sollten ja eine Auswahl des Spektrums zeigen. Und da geht dann z.B. nur „Big Spender“ ODER „Nachtzug nach Murnau“, so wie entweder „Melisande Hartmann“ ODER „Das Cafe zur schönen Aussicht“ geht. Die „Verpassten Gelegenheiten“ ODER „Mit Glück weiteratmen“, durch die Länge. Ein Hamburg sozialkritischer muss reichen. Und eigentlich auch nur einer mit Sex. Es ist wirklich schwierig.

        Like

      4. Aus meiner bescheidener Sicht sind „Mit Glück weiterarmen“, Big Spender und der Nachtzug absolut notwendig. Pass den Big Spender doch an die Reeperbahn an. Die Verpassten Gelegenheiten haben mich nicht so angesprochen, aber vielleicht sind sie gerade deshalb gut, da sie nicht die Realität widerspiegeln. Du wirst das schon richtig machen.

        Like

      5. Spannende Sicht, danke dass Du Dir die Mühe machst. WIrklich? „Mit Glück weiteratmen“ rein?, da habe ich bisher gescheut. So viel Krankheitskram? Den Big Spender könnte ich Kieztauglich machen, das stimmt.

        Like

      6. Mit Glück weiterarmen ist doch wie ein Überraschungsei. Da ist zum einen Dein persönliches Schicksal, zum 2. der Krankenhausalltag mit seiner Anonymität und 3. die Damen in Deinem Zimmer. Da fühlt sich doch jeder angesprochen. Sei es, dass er eine Frau, Mutter oder Oma hat. Der Text macht Angst vor dem Krank und Alt sein und gibt doch Hoffnung.

        Like

    1. Genau das ist das Problem, das ich – wie abstrus – die Hilfe von Excel bemühe. Neben viel Strenge mit mir selbst. Gäbe es eine solche Ausschreibung in Berlin, solltest Du übrigens ganz schnell, ähnliches tun. Du schreibst gewaltig. Danke fürs Glückwünschen.

      Like

  5. Alles Gute.
    Du verdienst mehr als diesen Preis.
    Ich habe das schon geschrieben und schreibe es hier wieder: Candy, ich will ein Buch von Dir.

    Like

  6. Viel Erfolg, liebe Candy. Ich drücke die Daumen für den Wettbewerb, auch wenn deine großartigen Texte dessen eigentlich gar nicht bedürfen. Und ganz unter uns: Ich mag Excel-Tabellen.

    Like

    1. Dankeschön. Jetzt habe ich soviel Lob heute zugesprochen bekommen, das ist eine wahre Motivationsspritze. Ich freue mich sehr darüber. Alles nicht selbstverständlich.

      Like

  7. Frau Bukowski in Exceltabellen eingerastert? Uik, da ist meine Vorstellungskraft überfordert. Allein, ich wünsche von Herzen, daß es Ihnen hilft, Ihre Auswahl zu treffen. Ich stelle es mir schier unmöglich vor bei der Vielzahl Ihrer Bonfortionöstexte und drücke alle verfügbaren Daumen. So ein Förderpreis ist ja auch ungemein förderlich(!) für das endlich unbedingst erscheinenmüssende Buch.

    Like

Hinterlasse einen Kommentar