Der Lustverwalter

Er hat sie fotografiert. Hunderte Male.
Für die Zeit der frühen 70er, verwegen. Heute wirken die Bilder fast züchtig.
Seine Geliebte in Unterwäsche, in Feinstrumpfhosen, damals en vouge. Beim Schminken vor dem Spiegel, mit roter Hochturmfrisur und erstauntem, erwachsenen Blick, mit kindlichen Zügen.

Er hat jeden Bewirtungsbeleg dieses heimlichen Verhältnisses aufgehoben.
Was sie trug, was sie trank, was sie sprach. Während vieler gemeinsamer Restaurant- und Spielbankbesuche.
Er legte Karteikarten an. Tippte darauf mit Schreibmaschine, Orte, Zeiten, Besonderheiten und Qualitäten des Beischlafes.
Er archivierte leere Pillenpackungen, datierte Schamhaarlocken, Fingernagelreste und nach dem Verkehr benutzte Taschentücher.
„27.10.1970, nachmittags: Vom Handgelenk abgemachte Kruste. Blut von M.“

M. steht für Margret S., eine Sekretärin, die Geliebte des Baustoffhändlers Günter K., die sich wohl niemals auch nur im Traum vorgestellt hätte, irgendwann einmal in dieser geballten Intimität der Welt zugänglich zu sein. Doch er hat sie formiert, archiviert, festgehalten. Ein Protokoll seiner obsessiven, neurotischen Begierde erstellt. Ein zwanghafter Versuch, zu halten, was ihm nie erlaubt war. Was er sich vermutlich auch nur schwer selbst zu erlauben wusste. Was ihn, allem Anschein nach so sehr trieb, dass er es organisieren musste. Um es schließlich in einem schwarzen Koffer, auf dem Dachboden, Jahrzehntelang vor seiner Ehefrau zu verstecken.

Nach seinem Tod landet der Koffer bei einem Entrümpler, von dort geht die Reise zu einem hamburger Galeristen, der wiederum macht die Journalistin Stefanie Maeck auf den kuriosen Fund aufmerksam. Sie zeichnet die Geschichte für ein Buchprojekt und das SZ-Magazin auf und wird mit dieser Arbeit unter dem Titel „Der Lustverwalter“ im Bereich Porträtfotografie des Jahres für den Visualleader Preis 2014 nominiert.

Visualleader ist eine jährliche Ausstellung in den Deichtorhallen Hamburg. Jeder einzelne, dort gezeigte Fotobeitrag ist interessant, sehenswert, berührend. Nachhaltig beeindruckt hat mich aber tatsächlich die skurril-intime, grenzüberschreitende Obesession „Der Lustverwalter“. Sie lässt mich zwischen Fassungslosigkeit und dem Wunsch nach Begreifen schwanken. Eine seltsame Geschichte einer seltsamen Liebe, eines personenbezogenen Fetisches, eines zwanghaften Begehrens. Vielleicht auch, eines seelenlosen Archivars?

Man kann lange darüber nachdenken und kommt kaum zu einem Schluß.
Wer kann, sollte hingehen. Noch bis zum 05.Oktober besteht die Möglichkeit.

Candy Bukowski

 

Visualleader 2014: Seit über 20 Jahren zeichnet die LeadAcademy herausragende Leistungen der Medien,- Fotografie- und Werbebranche mit den LeadAwards aus. Die nominierten und prämierten Arbeiten werden jährlich im Haus der Photographie der Deichtorhallen auf rund 1.000 Quadratmeter vorgestellt und sind mit über 30.000 Besuchern die größte Schau dieser Art in Europa.

10 Antworten auf “Der Lustverwalter”

  1. Welch Obsession | mir schaudert.
    Herzgeilen Genuss stelle ich mir anders vor.
    Zuweilen reicht meine Phantasie zum Glück nur fuer mich.

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  2. Bis zum 5. Oktober…wie passend (wenn es klappt) ;-)
    Was ich aber eigentlich sagen wollte: Die besten Geschichten schreibt das Leben, so sagt man ja. Und das mag stimmen, aber es braucht jemanden, der sie aufschreibt, erzählt, wiedergibt. Und da bist du eine kongeniale Partnerin des Lebens: Bis zum vierten Absatz war das eine ganz und gar typische Candy-Bukowski-Geschichte für mich. Auf was die wieder für Gedanken kommt, dachte ich mir, und wieder so schön geschrieben.

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