Einer dieser Tage

Es ist einer dieser Tage, an dem jedem das breite, grundlose Grinsen ins Gesicht gestreichelt ist. Der erste eigentlich. Der erste Tag nach endlosen Wintermonaten ohne Schnee, 50 Schattierungen an Grau, wir haben sie alle durch. Jetzt der erste Frühlingstag. Der erste ernstzunehmende zumindest, alle anderen waren ein wenig zurechtgehofft und wünschend hingebogen, alle waren sie nur die Aussicht. Aber jetzt, jetzt ist es wirklich einer dieser Tage. In denen das Eis im Aperol durch die Sonne noch nicht schneller schmilzt, aber die Gute alles verfügbare Serotonin in Wallung bringt. Man weiß gar nicht, wohin mit all diesem guten Gefühl. Serotoninschock aller Orten, das Land glücklicht ausgelassen vor sich hin.

Ich habe noch einen Platz im Straßencafe ergattert. Ein schwules Pärchen teilt mit mir seinen Tisch, trinkt sich durch die Latte Macchiato Auswahl mit Käsekuchen, während ich die Eiswürfel im leichten, roten Mittagsalkohol zum Klirren bringe und mein Gesicht zufrieden der Sonne zuwende. Morgen kann wieder versagt und gestorben werden. Heute nicht. Heute ist einer dieser Tage, an denen die mögliche Aussicht darauf nicht weiter ins Gewicht fällt.

Das Pärchen gegenüber gehört eindeutig zur gebildeten Oberschicht mit Doppeleinkommen und Rentensicherheit. Irgendwann werden sie vielleicht zusammen in Frankreich sitzen. Frankreich würde zu ihnen passen, jetzt suchen sie nach gewählten Worten und verbringen viel Zeit mit aktivem Zuhören. Begegnet einem ja auch eher selten, ein Zuhören, das nach dem Empfang eine bewusste Stille zulässt. Ein Nicken, ein Lächeln, ein Sackenlassen, bevor der Sprechball fast in Zeitlupe zurückgeworfen wird. Ungewöhnlich. Muss man auch aushalten können, diese Bewusstheit, die banales Plappern direkt ausschließt. Meist wird ja nur die nächste kurze Pause abgewartet, ein längeres Luftholen, um die Kehrtwende vom Du zum Ich wieder hinzubekommen, zu all den eigenen Bedürfnissen. Es wird eindeutig lieber gesprochen, als zugehört. Die Herren Käsekuchen halten das anders.

Der eine spricht über die bedauerliche Unentspanntheit der Menschen, die sich wie Lemminge um die Alster tümmeln. Und dass er heute seine kleine Penthouse-Terrasse auf Frühlingsstatus gebracht hätte. Vor allem die Kapuzinerkresse könne jetzt in Bälde kommen. Wuchern und ranken könne sie endlich wieder und ich bekomme für einen Moment das Gefühl, dass das Leben als Kapuzinerkresse auf einer Penthouse-Terrasse über den Dächern Hamburgs, doch auch kein schlechtes wäre.

Der andere nickt verständig und lässt alles bewusst auf sich wirken. Schwelgt sich vermutlich mental durchs Grün, bevor er das Gespräch bedächtig fortführt und in Zeitlupe den Sprechball aufnimmt.

Dass im März unser Teil der Erde, der Sonne am nächsten stehe, viel näher als im Juli oder August, wie man vielleicht vermuten würde und man sich deshalb ausgerechnet im März eben am leichtesten einen Sonnenbrand holen könne, sinniert er. Wie immer auch die astronomischen Auswirkungen wären, rein strahlentechnisch sei er fast ein Fiasko, der März.  Der Möglichkeiten zumindest. Und wann herrsche schoneinmal ein Fiasko der Möglichkeiten? Weshalb man ihn ebenso nutzen, wie sich vor ihm schützen sollte, vor diesem kraftvollen Frühlings-Schlingel in unseren Breiten.

Die Kapuzinerkresse in mir, zieht sich leicht verhuscht zusammen, lugt nach einem sicheren Schattenplatz und stellt fest, dass sie zum Glück kein Baum ist. Wie der dort drüben, der einzige auf dem kleinen Platz, unter den ein geflecktes Terriermännchen gerade äußerst elegant kackt. Den Rücken zu einer fliessenden Linie gebogen, während sein menschliches Herrchen so tut, als würde es sich für die zwiespältige Kunst interessieren, die nur wenige Schritte weiter in den Boden gerammt ist. Dünne Eisenplatten, von jahrelangem Rost angefressen. Kunst darf alles sein, außer gefällig, dieses Kriterium wird bei diesem Objekt per Excellence eingehalten, auch wenn nicht klar ist, ob der gesprayte Schriftzug darauf, auch zum Objekt gehört, oder eben nicht. „Schnuff liebt sein Duhu“ steht in Gelbverschmiert auf Braungerostet. Seit Jahren frage ich mich, wie Duhu wohl aussehen könne und ob Schnuff immer noch liebt, ihn oder sie, da kann man sich bei einem Duhu ja nicht allzu sicher sein.

An den glänzenden Strahlehimmel hat ein überbezahlter Pilot mit – ich und mein Uniformfetisch sind uns da absolut sicher – souveräner Stimme, einen prächtigen Kondensstreifen gemalt. Der hält sich, er bricht nur ganz langsam am fast unverschämten Hellblau des Tages auseinander und zeigt wie ein Pfeil auf die Menschen, die von hier nach dort wollen. Vielleicht ein Langstreckenflug Richtung Paradies. Auf die Malediven oder nach Thailand, irgendwohin wo es so fies schön ist, dass man gar nicht mehr wegmöchte, sondern für lange Zeit die Füße in den Sand strecken will, bis alle Hornhaut an den Fersen abgerubbelt ist.
Vielleicht klatschen ein paar der Neckermann-Touristen nach der sicheren Landung und bringen damit die in Verlegenheit, die regelmässig Flugmeilen auf ihrem Bonuskonto abarbeiten. Diejenigen, denen jedesmal kopfschüttelnd die Frage auf der Zunge liegt, ob all die MüllerMeiers wohl auch einmal den Busfahrer ihres Vertrauens beklatschen würden, wenn er den Metro der Linie 6 verlässlich am Sandtorkai um die Ecke brettert.

Das Käsekuchen-Pärchen schweigt jetzt komplett und sieht sich nur noch verständig an. Hat wohl alles gesagt für heute. Und manchmal ist es ja auch gar nicht so viel, was es zu sagen gäbe. Manchmal schaut man nur so ein wenig herum und denkt sich kaum was. Oder reisst eben ein paar Fetzen an, so wie sie eben kommen und wieder gehen, da macht keiner die große Ausnahme.

Aber dass der März ein wahres Fiasko an Möglichkeiten ist, so rein strahlentechnisch gesehen, das war doch schon was an überraschender Information, einfach zwischen hier und dort und hast du nicht gesehen. Vielleicht gibt es dafür ja eine App, die man sich mal aufs iPhon oder auch Android, da gibt es ja kaum mehr nennenswerte Unterschiede. Ach ja, einer dieser Tage, man weiß gar nicht wohin, mit all dem vielen Serotonin.

Candy Bukowski

14 Antworten auf “Einer dieser Tage”

  1. Früher mochte ich ja mehr dieses breite, ins Gesicht gestreichelte Grinsen, das manchmal auf die Erinnerung an ein Erlebnis mit einer Frau folgte. Aber wahrscheinlich wird man einfach älter und freut sich heute nur noch ganz einfach über ein paar Sonnenstrahlen. Schön, dass er endlich kommt, der Frühling.

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  2. Ach welch eine Geschichte. So richtig um sich hineinzulegen und still in den Worten sich in den nahen Frühling tragen lassen.
    Wie die zwei Herren. In der Kapuzinerkresse in den Tag genießen und ganz entspannt den Hunden beim kacken zu sehen. In der Ruhe gegen den Strom.
    Ich mag deine Geschichten & sie sind verdammt geil. Leider. Grins. ©lz

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  3. Es ist nicht so, dass die Sonne auch nur irgendwas besser macht. Sie macht das Schlechte nur weniger schlimm. Und das ist viel. Danke fürs Aufschreiben und Teilen.

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    1. Naja, da würden wir uns aber gewaltig umschauen, wenn wir auf sie verzichten müssten. Sollte ich zwischen auf ewig sonnenlos und ewig unberührt wählen müssen, würde ich mich tatsächlich für die Sonne entscheiden. Und wie Du weißt, wäre mir das… verflixt nochmal… eine harte Entscheidung ;)

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  4. Serotonin heißt das gute Zeugs, das vom Körper ausgeschüttelt wird. Ich weiß das, denn meiner liegt gerade in der Sonne, hat nun Angst vor einem Sonnenbrand, ist aber dennoch fröhlich entspannt. :-D

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    1. Ach naja, sie machen – ebenso wie Erwachsene -ebenso viel Freude wie Kummer. Der Dinki an sich, hat, meist auch zu seiner eigenen Überraschung, auch keine Poolposition im Glück :D

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