Fragmente des Fragments IX

Gestern kam einer aus einem anderen Leben. Zumindest aus einem lang ist es her, aber ich habe Dich überlebt und jünger sind wir beide nicht geworden, aber nun hast Du Deine Gattin in spe dabei und wir geben uns alle Pfötchen, weil man das als anständiger Mensch so macht. Anstatt dem einzig richtigen Gefühl nachzugeben und durch einander hindurch zu sehen, weil die Projektionsfläche so tiefe Risse bekommen hat, das kaum mehr Erinnerungen zu spiegeln sind, in denen Hauptrollen vergeben waren.

Ich habe sie vergessen, deine Hände auf meiner Haut und deine Lügen in meinem Ohr, dein viel zu lautes Lachen über Dinge die mich schmerzten und dein verdammtes, leises Flüstern in der Nacht. Nur deine Selbstgefälligkeit ist geblieben, sie schmiegt sich weiter wie ein schwarzer Mantel um deine Schultern und wirbelt ungutes Gefühl auf, als du unverhofft um die Ecke kommst, um dich nochmal in Erinnerung zu rufen. Der altbewährte Käuzchenschrei, dein erstes Mittel der Wahl, hör hin, hör hin meine Schöne und lausche. Damit du weißt, wie oft gestorben wird.

Nein, den hast du dir nicht nehmen lassen, den einen Auftritt nach all der Zeit, in der ich dir so erfolgreich aus allen Wegen gegangen bin. Um plötzlich vor mir zu stehen und mich vor meinem Kollegen zu fragen, ob das in Ordnung ginge… ob ich dich wohl ertragen könne, nach all dem Schutt und all der Asche nach dem Licherterloh. Das wagst du dich und hast noch immer nicht genug Anstand, um Fremde einander vorzustellen und selbst einen kleinen Schritt zurückzutreten.

Das geht schon klar, lächle ich, du hast dich ja schon immer gerne überschätzt. Und spreche Dich feixend mit dem Nachnamen deiner Zukünftigen an, weil es keine leichtere Demütigung gibt, als dich wuchtigen Berg zu ihrem kleinen Anhängsel zu machen. Und du schluckst es, etwas distanziert, weil wir beide wissen, dass ich noch einen ganzen Schrank voll Demütigungen gut hätte. Wenn ich denn wollte. Und wenn du mir nicht längst so egal wärst, wie mich zuvor all deine Mätzchen bodenlos machten.

Also schauen wir uns nur ein wenig an.
Du, ob du noch ziehst.
Und ich, ob du wohl endlich gehst.
Und sie, was das Ganze eigentlich genau soll.

Und dann rettet dich einer deiner unheimlich wichtigen Anrufe zwischen hier und dort und haste nicht gesehen. Während ich mir überlege, wo ich dich wohl schneiden könnte, irgendwo zwischen Leber und Milz. Wo sich unsere Zeit in dir versteckt haben könnte. Wo du sie hortest und ich sie nicht mehr herausbekomme, obwohl es dir einfach nicht zusteht, auch nur einen kleinen Atemzug von mir zu behalten. Keinen längst gebrochnen Schwur und kein Fitzelchen an Herzfragment, das schlicht ein Irrtum war.
Wo könnte ich wohl kurz und tief in deinen Körper schneiden, um mir einfach nur zurückzuholen, was mir gehört. An ehrlichen Sätzen in den Nächten und offener Seele auf deiner blutigen Schlachtbank und all dem verschenkten Ich, dass du immer eininhalliertest, um ganz und gar Du zu sein.

Dann mache es mal gut, verabschiedest du dich.
Und ich hebe lächelnd zwei Finger zum Seegruß an die Stirn.
Oha… meint mein Kollege, nachdem du das ungute Gefühl wieder mit aus dem Raum genommen hast.

Nein, sage ich. Längst vorbei.

Candy Bukowski

14 Antworten auf “Fragmente des Fragments IX”

  1. Berührt mich sehr und bewegt etwas fast Vergessenes.
    Deine Worte beschreiben ganz stark, was ein solches Begegnen ausmacht.
    Und ich wünsche Dir, dass etwas Anderes Dich durch die Welt trägt.

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  2. Bleibt und nistet sich ein. Und nicht jeder, der aus der Tür ist, ist auch weg. Wird niemals ein Fremder für einen werden, gänzlich. Das „Längst vorbei“ ist ein Behelf und jedem notwendig, um weitermachen zu können.
    Der Diebstahl von Gefühlen ist zwar verjährt, die Beute längst schon fort. Doch bleibt zurück eben jene Stelle, wo sie ihren Platz hatten, ihr Negativ sozusagen.

    Ich lese viel zu selten, viel zu obenhin, was so gut ist. Aber ich weiß ja zumindest, wo ich es immer wiederfinden kann.
    Freundlichst
    Wuff

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    1. Bedauerlich, nicht wahr? So gerne das Negativ an manchen Orten gerne ein Leben lang bleibt, so hadert es auch mit den unverzeihlichen Irrtümern. Und puh! Besonderes Danke für den letzten Satz, werter Hund! Ich hoffe auf bestes Gelingen in Pankow! :)

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