Leseprobe aus „Der beste Suizid…“

cropped-buchfoto.jpgWAS SPÜRST DU? – EINE FI(C)KTION

Sie liegt auf dem Bett.
Nackt, wie irgendwer sie schuf. Man weiß nichts Genaues, die Meinungen gehen an dieser Stelle sehr auseinander. Und so, wie sie sich selbst mit der Zeit entgegenreifte. Nicht mehr ungezeichnet, unverletzt und unverdorben.
Aber Hüfte hat sie noch. Eine geschwungene, eine gute Linie, wie man sie gerne sieht. Von der Seite, im Gegenlicht, als Schattenspiel. Und volle Brüste. Für den, der Leben mag, die Referenz ans selbe. Zumindest durch die Nacht. Durch aufgewühlte, intensive Nächte.

Sie liegt auf dem Bett, auf weißen, zerknitterten Laken. Und sieht ihm zu, wie er im Bad steht. Mit festem Hintern, der perfekten Pofalte, einem breiten Rücken. Der zu tragen weiß. Die Muskulatur verändert sich bei jeder Bewegung seines Armes. Wenn er sich den Rasierschaum mit dem Pinsel auf die Wangen wirbelt. Gut gelaunt, ein wenig Schalk im Blick, wenn sich ihre Augen im Spiegel finden. Treffen.
Begegnen. Berühren. Der Blick nach wirklich gutem Sex ist fast so gut wie das davor.
Nur mit Ruhe und mit blindem Einverständnis. Gelöst voneinander. Und doch noch eins.

Sie hält den Blick und greift entspannt nach den Players. Zündet sich eine an, nimmt einen tiefen Zug, atmet den Rauch aus. Das vertraute Gesicht im Spiegel ist beim zügigen Schaben mit dem Messer angekommen. Zielsicher. Unverkrampft. Klassisch.
Erotisch, ganz nebenbei.
Er weiß das. Es gibt nichts, das er tut, worum er nicht wüsste.
Nach drei Galaxien Zeit durchbricht ihr leiser Satz die tragende Stille.

„Seit wann bist du so, wie du bist, Carver?“
„Wie bin ich denn?“, antwortet der Schalk. Jetzt auch mit Stimme.
„Rund. Fertig. Ausgeglichen, ohne angepasst zu sein. Ohne Fragezeichen. Das bist du.“

Er lächelt und kübelt sich das Meer der Welt ins Gesicht. Jagt Schauminseln in den Abfluss, greift zum Handtuch, reibt die kantigen Wangen trocken, hält den gespiegelten Blick.

„Wie lange kennst du mich, Sweetheart?“
„Ein halbes Leben und du hast immer schon gerne Fragen mit Gegenfragen beantwortet.“
„Vielleicht weil Fragen spannender sind als Antworten?“
„Seit wann, Carver?“
„Du kennst mich ein halbes Leben und fragst nach dem Seitwann?“
„Das tue ich. Vielleicht wäre deine Antwort eine andere als meine.“

Er schließt die Badezimmertür und kommt herüber zum Bett. Legt sich schräg aufs Fußende. Stützt den Kopf auf die rechte Hand, die linke streicht sanft über die Innenseite ihrer Oberschenkel.

„Vermutlich wären meine Fragen andere. Was geht dir denn in Wahrheit durch den Kopf, hm?“
„Hast du gewusst, dass der normale, gesunde Mensch auf einer Skala von 1 bis 10 sein Leben stimmungsmäßig zwischen einer guten 5 und einer spitzenmäßigen 10 verbringt? Also zwischen ‚Na ja, geht so‘ und ‚Was für eine geile Zeit‘?“
„Wer ist der normale, gesunde Mensch?“
„Der Durchschnitt. Der Manager, der Busfahrer, die Wurstwarenfachverkäuferin, Mütter, Väter, Paare, der Typ aus dem Reisebüro, diejenigen, die einmal im Jahr in Dänemark Urlaub machen, all die, die im Straßencafé sitzen, vermutlich auch der Telekom-Fuzzi.“
„Ich fürchte, ich kenne mich mit normalen Menschen nicht allzu gut aus.“
„Ganz normale Leben. Klar kennst du sie, sie umgeben dich.“
„Umso schöner, wenn sie gut drauf sind, oder?“
„Zwischen 5 und 10, Carver! Beständig. Wenn auch in Wellen. Einzelne Ausschläge bieten nur temporäre Einschnitte. Wie ein Todesfall, eine Trennung oder ein Jobverlust. Und danach geht es direkt wieder hoch.“
„Das ist Normalität?“
„Das ist Normalität, sagen sie. Die Ärzte, die Psychologen sagen das.“

Sein Streichen über ihre Oberschenkel wird konkreter. Zielgerichteter. Mittiger.

„Es ist normal für mich, mit dir hier zu liegen.“
„Hey! Mit mir hier zu liegen ist ein Highlight!“
Er lacht. „Siehst du? So schnell von 5 auf 10. Und was ist es nun? Normalität? Realität? Highlight?“

Sie drückt die Players bedächtig im Aschenbecher aus. Schaut ihn an. Streckt ihr Bein seinem erigierten Schwanz entgegen, streift mit dem Fußballen an Samt entlang, greift sanft mit den Zehen.

„Seit wann, Carver? Seit wann bist du so komplett?“
„Schon immer. Seit ich denken kann. Du weißt das. Ich bin einfach ich, da gibt es nichts infrage zu stellen.“
„Ich weiß.“
„Die Frage lautet doch in Wahrheit, seit wann du es nicht mehr bist.“
„Ja.“ Sie nickt. Kaum merklich.

„Weshalb also der Umweg? Du hattest eine harte Zeit, Sweetheart. Erinnere dich an das Zuvor, sammle die Teile wieder ein, erobere dir die 10 zurück. Komplettiere dich.“
„Ich habe mich auf eine mäßige 5 zurückgearbeitet.“
„Gut. Von 0 auf 5 ist das schwerste Stück Weg.“
„Ins erschreckende Mittelmaß, Carver. Ohne Ausschläge. Ende der Fahnenstange. Alles andere fühlt sich an wie Utopie.“
„Unsinn. Du warst immer für eine verflixt gute 8 zu haben. Sammle zusammen, was fehlt.“
„Wie, Carver? Sag mir, wie?“

Sein Blick ist unergründlich. Um die Mundpartie erkennt sie ein kurz aufblinkendes Zucken. Dann wieder Ernst. Als er sich aufstützt und wortlos in sie eindringt, erfüllt für einen Moment nur noch Atmen den Raum. Zweifaches gleichförmiges Atmen. Sie schließt die Augen, greift mit einer Hand in seinen Nacken. Atmen.

Schließlich seine Stimme, flüsternd an ihrem Ohr: „Was spürst du?“
„Dein Gewicht. Deinen Schwanz. Dein Begehren. Uns.“
„Enttäusche mich nicht. Was spürst du?“
Sie atmet schwerer. Tiefer. Lässt sich Zeit mit der Antwort.
„Dich. Und mich durch dich.“
„Gut. Und wenn du mit geschlossenen Augen in der Sonne sitzt und im Frieden mit dir bist?“
„Mich.“
„Wenn dir etwas wirklich gelingt, wenn du dich selbst besiegst, wenn ein Plan aufgeht?“
„Mmh. Mich.“

In ihr Atmen mischt sich vereinzeltes, leises Stöhnen. Er behält seinen Rhythmus bei. Bedächtig. Langsam. Als würde er sie anstoßen wollen, als würde er sie mit Begreifen füllen. Oder den Druck ausgleichen. Als wäre er nur dafür da, ihre Mitte zu erreichen. Immer wieder aufs Neue, immer wieder fast ganz aus ihr heraus, um noch tiefer wieder hineinzugleiten. Unangestrengt, reduziert, wahrhaftig.

„Und selbst wenn du unter die mittelmäßig beschissene 5 rutschst, was spürst du dann?“
„Mich.“
„Und wie war das noch mal jetzt, im Augenblick?“
„Dich. Und mich durch dich.“

Er schmunzelt. Nickt. Umkreist mit der Zunge nacheinander beide Brustwarzen. Zieht sich aus ihr zurück, lässt sich auf den Rücken fallen, um einen Arm anzubieten. Holt ihren Kopf auf seine Brust. Gegen leichten Widerstand. Fast unmerklich. Dann wieder ruhige Stimme an ihrem Ohr: „Und wo führt dann logischerweise der Weg entlang, Sweetheart?“

Stille im Raum. Eine der watteweichen, wohltuenden aus dem reichhaltigen Fundus der Stille. Keine schneidende, keine abwartende, keine vernichtende.
Premiumstille. Ihre Hand liegt sanft auf seinem Bauch, der sich entspannt hebt und senkt. Warm.

„Du musst gehen, Carver.“
„Ich weiß. Ich komme komplett wieder.“
Ein Lächeln. Nicht leicht, aber doch.
„Ich weiß. Ich auch.“

(c) Candy Bukowski
Leseprobe aus:

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„Der beste Suizid ist immer noch sich tot zu leben“

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