Neulich, beim Wortmacher

„Guten Tag. Ich habe gehört, Sie fabrizieren Worte.“
„Naja, fabrizieren ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Es gibt sie ja bereits alle. Sagen wir, ich verfüge über einen gewissen Fundus.“

„Das klingt auch gut. Second Hand Worte sind vermutlich bereits ausreichend erprobt. Es geht mir nicht darum, auf etwas Neues zu bestehen, ich benötige nur etwas Hilfe bei einer sinnvollen Zusammenstellung. Da mir meine eigenen, nunja, nicht ausreichend erscheinen.“

„An was hatten Sie denn genau gedacht?“
„Vielleicht an eine Mischung Schönes, Wahres…“

„Nun, das könnte schwierig werden. Schöne Worte sind nicht unbedingt immer wahr. Und die wahren nicht immer schön. Erfahrungsgemäß entfalten Worte nur im Kontext ihre gesamte Bedeutung.“

„Sehen Sie, geht schon los. Dieser Kontext, der scheint mein Problem zu sein. Wenn ich jetzt etwas Schönes sagen oder hören wollte, wo steht der dann? Vorne, hinten, in der Mitte?“

„Er ergibt sich aus dem Zusammenhang. Aus dem Gesprochenen und dem Verschwiegenen. Über Vergangenheit und Gegenwart. Der Kontext steht also weder vorne, noch hinten, sondern zwischen.“

„Zwischen einem schönen Wort und dem nächsten?“
„Nein, zwischen dem Sprecher und dem Empfänger.“
„Immer?“
„Immer.“

„Jetzt frustrieren sie mich aber. Es muß doch möglich sein, zwei, drei schöne Worte zu sagen und die stimmen dann so.“

„Möglicherweise. Zumindest für den einen. Oder auch den anderen. Vielleicht für beide über eine gewisse Zeit. Das wären dann doch wirklich schöne Worte.“

„Ja, aber doch keine wahren.“
„Sie sind da sehr anspruchsvoll. Wahrheit ist grundlegend temporär begrenzt. Werfen Sie welches Wort auch immer adressiert in die Welt, es wird unter verschiedenen Zeiten, Orten, Personen, Gruppierungen mit der Zeit eine andere Bedeutung bekommen.“

„Hallo!? Was könnte denn an den Klassikern Liebe, Glück, Freundschaft, Frieden interpretierbar sein?“

„Der Kontext. Wir sprachen bereits darüber. Dein Frieden ist nicht mein Frieden, ist nicht Putins Frieden. Oder einfacher, für den Hausgebrauch: ergänzen wir die schönen Worte Liebe und Glück durch Alltag, und schon ergibt sich ein völlig neues Bild.“

„Alltag ist doch eher ein neutrales….“

„Kommt auf den Kontext an. Und nicht vergessen: den gibt es ausgesprochen und geschwiegen. Den fremden und Ihren eigenen. Ein sich duplizierendes Perpetuum Mobile, sozusagen. Karl Valentin hat da mal sehr schöne Worte für gefunden. Er meinte *Jedes Ding hat 3 Seiten. Eine positive, eine negative und eine komische*. Das macht es doch gleich viel eingängiger, nicht wahr?“

„Na, Sie Held. Dann wäre es ja gerade egal, was gesagt wird, wenn sich alles nur an der Interpretation entscheidet!“

„Und somit im Gefühl. Ja. So stellt sich das dar. Hat aber doch auch etwas Beruhigendes. Wobei ein wenig Mühe bei der Wahl des genutzen Wort dennoch empfehlenswert ist. Schließlich erhöht es die Chance auf eine zumindest ähnliche Interpretation doch ungemein.“

„Ich glaube, ich wähle und höre trotzdem oft die falschen. Das läuft nicht so gut.“

„Mag am falschen Genre liegen. Ratio- , Lyrik-, oder emotionale Diskussions-Edition? Richten Sie Ihre Worte an eine Frau oder einen Mann? An Vorgesetzte oder Untergebene? Kinder, Betrunkene? Nerds oder alte Seebären? Das will alles mit bedacht sein…“

„Ich dachte immer, man spricht einfach miteinander. Und manchmal schweigt man. Und auch das wäre gut. Und verständlich.“

„Kann doch klappen. Wenn der Kontext stimmt. Weltweit wurden übrigens sehr gute Erfahrungen mit Liedern und Gedichten gemacht. Der Mensch scheint für rhythmische Worte äußerst empfänglich zu sein.“

„Ich kann doch den guten Kontext zwischen Liebe und Glück nicht herbeisingen!“

„Wohl eher nicht. Dafür gibt es geschulte Leute unterschiedlicher Genres. Und der Faktor Zeit ist von Andrea Berg bis ZZ Top dennoch nicht aufzuhalten. Am geschicktesten wäre es einfach, wenn sie real oder gedanklich immer die Formulierung *für den Moment* voranstellen. Das hat sich außerordentlich gut bewährt.“

„Ich hätte für den Moment dennoch jetzt gerne ein paar wirklich gute Worte von Ihnen.“

„Gerne. Was darf es denn sein? Standard aus den Top 50? Oder etwas Blumiges dazwischen? Ein wenig Klarheit oder Raffinesse? Vielleicht etwas Begehrliches? Auch klassische Schönheiten werden bei Worten gerne genommen. Und gegen einen kleinen Aufpreis kreiere ich Ihnen auch etwas Exklusives. Ein Überraschungswort zur völlig freien Interpretation beispielsweise.“

„Stellen Sie mir einfach etwas aus allem zusammen. 20 gute Worte ohne Kontext. Der macht sich ja von selbst. Einfach locker in einem Tütchen zusammengewürfelt. Einmal für mich. Und einmal in Hübsch mit einem Schleifchen, bitte. Es soll ein Geschenk sein.“

Candy Bukowski

34 Antworten auf “Neulich, beim Wortmacher”

  1. So bin ich nun endlich vom Herrengedeck hier bei Ihnen angelangt und nehme höchst vergnügt die Verfolgung auf. Weil Wortwundertüten wie die Ihrige schlichtweg fetzen. Herzlichst, Käthe Knobloch.

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      1. Echt? Ich hab ja eine zeitlang gar nicht gewusst, dass du einen eigenen Blog neben dem Herrengedeck hast…na im Endeffekt ist es ja egal, ich bin und bleibe froh…oder froehlich ;-)

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  2. Eine Hammer Hammergeile tolle irre famose Geschichte. Selten etwas feineres über den Kontext die Worte und das dazwischen gelesen. Bitte weiter machen!!!!!

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      1. Ihr Blog ist mein Flanierworttheater. Mit Nebenbühnen Labor und versteckten chambre de lettre. Danke

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  3. Vor Jahren hatte ich ein reizendes Jungengeschwisterpärchen in der Betreuung über den Großelterndienst. Der Höhepunkt für sie war jeweils, wenn sie mir kurz vor dem Zubettgehen jeder 5 Stichworte liefern durften und ich dann – ratz fatz – daraus eine Geschichte basteln musste. Na gut, 5 Minuten Bedenkzeit billigten sie mir zu. Und dann saßen sie und zählten an den Fingern ab, ob ich auch alle 10 Begriffe erwähnte. Da musste die GuteNacht-Geschichtenerzählerin schon manchmal kräftige sprachliche Haken schlagen.
    Mit „Sommerfest in Bloggerland“ habe ich das auch mal im Blog gemacht.

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  4. Ich ringe mit mir, wollt‘ eigentlich schweigen und einfach geniessen. Aber der Ben Fröhlich macht’s unmöglich, muss mich erneut als Mitstolperer outen.

    Was mich immer so hinreisst, ist Ihre Fähigkeit, den grundgütigen Beobachtungen der Schreiberin mit aller Verve Ordnung und Struktur zu geben. Es ist eines, über die Wahrheit und Schönheit und das Verständnis der Worte zu sinnieren, das Ergebnis dann aber so rund zu be-schreiben, dass es sich so flüssig liest und man doch an jeder Biegung rasten kann und einfach mal kurz die Hand ins klare Wasser halten- es ist einfach schön – in mienem ganz persönlichen Kontext gesehen und „verstanden“, will sagen, in der Art, wie ich auch hier wieder bei Ihnen meinen ganz persönlichen Text lesen kann.

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  5. Hach! Ich sehe eine Reihe entstehen … Der Wortmacher passt wunderbar zum Lebenszeitdealer, die zwei könnten kleine Läden nebeneinander haben … Ich bin gespannt, wer da noch in die Straße einzieht ;-)

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      1. Hmm :-) ich bin in sowas furchtbar schlecht und verliere immer … aber egal, wer da noch einzieht … Da es ein Text von Ihnen sein wird, werte Frau B., mache ich mir da überhaupt keine Sorgen über die Qualität… :-)

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  6. Sehen Sie, ich denke, diese Worte sind an mich gerichtet. Wenn auch nicht, so kann ich es doch so interpretieren. Mehr noch, ich kann mit einer gewissen Plausibilität mir ebenso denken, diese Ihre Worte selbst schon gedacht zu haben. Denn diese Ihre Worte (es sind ja Ihre) kommen mir so vertraut vor, wie aus demselben See geschöpft.
    Es ist ein Text, den ich mir merke, um einmal darauf eine passende, hoffentlich ebenso schöne Entgegnung zu finden.

    Ihr Herr Hund

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