Weil es tiefer wird, seit wir wissen, dass es auch immer wieder enden wird

Und dann hatte ich doch eingeladen. Obwohl ich fast ein Jahr davon sprach, mich an diesem Datum in ein Erdloch zu vergraben und erst dann wieder hervorzukommen, wenn es alle bereits vergessen hätten.

Fünfzig ist nicht so dolle. Fünfzig ist als Anlass semi-unterhaltsam und als Tatsache schwer zu schlucken, wenn man Fotos gerne löscht, weil man sich so noch nicht sieht und schon gar nicht in einer dummen Sekunde fixiert sehen möchte. Fotografen am 50sten werden für ihr Werk gemieden, denn so schlecht kann das Licht ja nicht gewesen sein – und auch das Leben nicht – ich bitte Dich, dass bin doch niemals ich.

Gäste zum 50sten können gnadenlos sein, mit spaßigen Rollator-Gutscheinen und den Geschenkpaketen voller Merz Spezialdragees und Halsstraffungscremes. Unbekannt, wieviele Großmütter für diese miesen Scherze verkauft werden müssen, aber die sind ja auch schon weit über Fünfzig. Willkommen im Club, die Mitgliedschaft ist frei, wenn du nur hier unten, mit ein wenig weinendem Herzblut den Pakt mit dem Teufel der Vergänglichkeit unterzeichnen möchtest…Aber hey, Fünfzig ist auch das neue Vierzig und das Glas stehts halb voll, sagen die Optimisten und schultern leicht den scheppernden Selbstbetrugs-Beutel um ein neues Tänzchen zu wagen.

Ich habe dennoch eingeladen. Ausschließlich Lieblingsmenschen. Für irgendetwas in der Mitte. Fürs teilweise nach vielen Jahren wieder zusammenkommen und unser Leben feiern. Unsere gemeinsame Zeit, die ganzen verflochtenen Wege. Dafür, dass es uns noch gibt, dass wir immer wieder aufgestanden sind, dafür dass wir es noch können, dafür dass wir es noch immer wollen.
Oder wie meine Tochter mit ihrem 13-jährigen Charme verkündete: „Ich komme da nicht mit. Es gibt nichts Peinlicheres als alte Menschen,  die sich für jung halten, eine Menge trinken und am Ende noch tanzen oder schlimmer. Mach das mal schön alleine.“ Yes! Strike! Das hat großartig geklappt, ohne sie selbst ausladen zu müssen.

Denn genau das haben wir getan. Vierzig Lieblingsmenschen haben getrunken, geknutscht, gefeiert und getanzt. Wir sind alle älter geworden und ja, man sieht es uns auch an. Aber das ist gar nicht so wichtig, weil der fiese Pakt mit der Vergänglichkeit einen Durchhalte-Bonus im Kleingedruckten beinhaltet. Wir können es nicht mehr ohne Brille lesen, aber erlebt und gelernt haben wir es: dass ein halbes Leben „immer wieder neu auf Los, immer wieder rein, immer wieder durch“ uns eine Unzahl intensivster Geschichten miteinander schenkt. Und dass es tiefer wird, seit wir wirklich wissen, dass es auch immer wieder enden wird. Weitab von weise, da steht noch eine Menge Stolz, Liebe und Trotz davor.

Es gab Lieblingsmenschen, die werden aktuell von einigem Ballast gequält. Aber sie sind dennoch gekommen, weil sich vieles eben nicht nachholen lässt. Nicht an anderer Stelle, nicht zu einer anderen Zeit, auch nicht in einem anderen Leben. Über die bin ich so froh und glücklich, das kann ich keinem Menschen sagen. Und es gab eine Handvoll besonders wichtiger Wegbegleiter, die aufgrund wichtiger Dinge leider nicht kommen konnten. Die haben wirklich gefehlt. Mehr als ich es jemals sagen könnte. Denn die Wahrheit ist zum Glück: keiner ist ersetzbar. Nicht von 40 anderen Gästen, nicht von einem dennoch rundum großartigen Abend, nicht von neuen Partnern, anderen Freunden. Unter Lieblingsmenschen bleiben Plätze leer und unbesetzt. Abwesende haben ebenso viel Präsenz, wie Anwesende. Und das ist gut so, ich würde es mir nicht anders wünschen, auch wenn Vermissen schmerzt.

Mir wurden übrigens keinerlei „Rollator-Gutscheine“ geschenkt. Keine Großmutter musste für den bittersten Joke des Jahres herhalten, mein Hals bleibt weiterhin ungestrafft. Dafür gab es Liebe und Spaß aus der ganz großen Schöpfkelle und ganz wundervolle, auf uns zugeschnittene Geschenke. Gemeinsame Wege machen vertraut. Darunter ein Super-Profi-Kaffeevollautomat von DeLonghi, den ich eigentlich gar nicht haben wollte. Tage zuvor hatte ich noch getönt, dass ich keine Kaffeemaschine bräuchte, weil ich ja eine hätte und das Geld anders doch viel sinnvoller….

tja und jetzt steht er da, liebevoll geschenkt und täglich genutzt. Ein dekadentes, riesiges Teil, das neben seiner enormen Außenwirkung, auch noch ganz hervorragenden Kaffee und Cappuchino zaubert. Eigentlich passt das sperrige Ding gar nicht in mein Leben. Aber jetzt ist es da und macht mich jeden Tag aufs Neue ein bißchen glücklich.

Vielleicht ist das so: dass man manchmal denkt, man bräuchte etwas gar nicht. Und dann ist es entweder weg, oder überraschend da, und macht viel mehr mit einem, als man geglaubt hätte. Ein Mensch, mehrere Menschen, existente, vermisste. Immer wieder neu beginnen, immer wieder zusammenkommen, immer wieder Mut und Freundschaft und hin und wieder eine rauschende Ballnacht. Niemals damit wirklich aufhören, niemals der Vernunft opfern, was einen tief zu berühren vermag.
Lieblingsmenschen.

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(c) Fotos: Timms Corner

16 Antworten auf “Weil es tiefer wird, seit wir wissen, dass es auch immer wieder enden wird”

  1. In der Mitte (des Lebens, Mitte ist IMMER) und durch. Aufständig sein ist wichtig (darin steckt ja nicht nur das erwartungsvolle Aufstehen an jedem weiteren Morgen). Der Blick zurück dealt mit der Vergänglichkeit, den Drive des Blicks nach vorn bestimmen wir immer noch selbst. Liebe Güte, was für ein Quark. Jedoch anders kann ich es nicht beschreiben. Aber es schwingt da kein „scheppernder Selbstbetrugs-Beutel“ mit, promised.

    Herzlichen Glückwunsch, liebe Candy und

    liebe Grüße

    Achim

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    1. Danke Dir, lieber Achim :) Ich meine diesen „Selbstbetrug“, den ich ja selbst exzessiv betreibe, gar nicht negativ. Aber logisch hat dieses berühmte „ich fühle mich noch genauso wie mit 35“ und „man ist nur so alt, wie man sich fühlt“ gnädiges Verschleierungspotential. Klar fühlen wir uns noch genauso, aber man ist es halt einfach nicht :D Aber strikt nach vorn, ohne Frage. Wohin auch sonst?
      Herzlichstes Ahoi! Candy

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