Schneelieder von Georgette Dee – Ein Rückblick

In alljährlicher Tradition kommt Georgette Dee Anfang Dezember ins Tivoli Hamburg und ebenso traditionell sitze ich dann zusammen mit einer sehr guten Freundin in diesem ehrwürdigen Theater. Um uns die gesamte Packung an Sehnsuchts- und Wehmutsliedern abzuholen, die sanften und die bitteren, die dir eben nur diese eine Diseuse ungestraft ins Herz schmettern darf. Georgette und wir, das ist eine ganz tiefe, lange Liebe. Eine Einseitige natürlich, aber das tut dem Ganzen keinen Abbruch.

Denn mit einseitigen, unerfüllten und vor allem ablaufenden Lieben kennen wir uns gemeinsam aus, die jagen sehnsüchtige Herzen und kein fucking Chanson wäre ohne sie jemals entstanden. Das darf versöhnen mit den unerklärbaren Dingen, oder wie Georgette sagt „man möchte gar nicht wissen, wie oft Missverständnisse für unsere besten Momente im Leben verantwortlich sind“. Und wenn sie dann anschließend tief in die Zarah Leander Kiste greift, um niemals aus Liebe zu weinen, dann ist das im aktuellen Lebensdrittel Dee einfach glaubhafter und berührender, als das Original.

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Es war ein melancholischer Konzertabend „Kuschellieder und neue Schneegeschichten“, mehr als jemals zuvor standen Vergänglichkeit und Tod, zumindest gefühlt, im Fokus. Was zuletzt bei „Der Seemann und der Prinz“ noch rotzige, trotzige Verführung beinhaltete, war in diesem aktuellen Programm (leider) kaum zu spüren, man musste sich einlassen. Bei mir rennt Georgette Dee damit dennoch offene Türen ein, wer im ausverkauften Haus allerdings zur reinen Abendunterhaltung erschienen war, hat an dieser Stelle vermutlich Abstriche gemacht. Nun bleiben mir persönlich Menschen, die sich von Dee in erster Linie unterhalten lassen wollen, unheimlich. Wehmut und Selbstreflektion müssen wehtun, sonst wären sie nur Tingeltangel. Ein bisschen von allem und von allem zu wenig, also rein, runter und durch. Dafür steht Georgette gereift (und seit dem „Helena“Programm unvergesslich gut) ohne Wenn und Aber. Wer sich einlässt, wird belohnt. In diesem Falle, mit einem schweren, aber wertvollen Abend ohne emotionalen Notausgang. Jedes Lied saß auf den Punkt, man konnte sich hineinwerfen und mitschwimmen, durch den großen Strom der sich immer weniger erfüllenden Sehnsüchte.

Dass „als Letztes nicht die Hoffnung, sondern die Eitelkeit stirbt „- auch dieser Spiegel wurde lächelnd vorgehalten und ja, verdammt, sie hat Recht damit, wie mit so vielen klugen Sätzen, die ein Dee Programm ausmachen. Locker eingestreut zwischen Lieder und Launen einer berührenden Diva. Üblicherweise zumindest, denn nicht erst nach dem vierten Wodka Soda auf Eis zeigten sich diesmal Konzentrationsschwächen, die dem Publikum nicht verborgen blieben. „Ach was solls, ich werde Sechzig. Ich darf jetzt auch mal eine Pointe vermasseln!“ – als erfahrene Bühnenkünsterlin wählte Georgette den Weg der Offensive, um ein paar deutlich verlorene Fäden durch Sympathiebonus wieder zu verknüpfen. Professionell – und wie immer begeisternd – am Flügel von Terry Truck begleitet, der musikalisch an mancher Stelle rettete. Nun ist Georgette Dee angetrunken um Welten besser, als andere nüchtern und ihr Publikum verzeiht nicht nur, sondern liebt den Anteil trunkener Authentizität. Aber zu bemerken, tja, zu bemerken war es diesmal eben doch.

Was bleibt, ist wie immer die Wehmut. Und die große, bittersüße Sehnsucht, das ewige Wünschen und Hoffen, der Blick zurück und die Einsamkeit dazwischen. Und all das bringt Georgette Dee in ihren Liedern auf den Punkt. Wenn sie singt, kann ihr kein Wodka dieser Welt etwas anhaben. Da stimmt jedes Wort, jeder Ton, jede meisterhafte Attitüde, jeder Blick und das gesamte Repertoire an gelebtem Leben. Deshalb geht man zu ihren Konzerten, davon lässt man sich berühren, bewegen und niederschmettern. Wem das zu wenig ist, der hat zuviel an Glück und Selbstverständnis in seinem Sein, wer an dieser Stelle mäkelt, der hat den Geschmack der Bitterness noch nicht geschmeckt und Momente nicht überstanden, die unüberstehbar sind.

Wer bei „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ in der Zugabe nicht endgültig ohne Scham weint, weil sie es schafft, Dich mit dieser schmerzhaften Nacktheit einfach umzuhauen und in dich selbst zu werfen, der möge in irgendein nettes Konzert irgendeines netten, nüchternen Interpreten gehen. Wenn man dem langen Applaus und den vielfachen Zugaben glauben möchte, hat Georgette Dee dies auch diesmal beim Großteil ihres Publikums erreicht.

Vielleicht ging es diesem ebenso wie mir. Ich wäre nach dem letzten Vorhang gerne einfach sitzen geblieben. Ich hätte gerne noch eine Stunde einfach nur gesessen, während all die anderen endlich gegangen wären. Wortlos und still hätte ich mir eine Zigarette angezündet und bei einem der hübschen Kellner einen großen Wodka Soda auf Eis bestellt. Einen auf uns und dann noch einen auf die See. Und vielleicht hätte Georgette genau daselbe zeitgleich in ihrem verhassten „Einzelzimmer in Eppendorf“ getan. Man weiß es nicht. Aber es wäre genau das Richtige zum Abschluss dieses besonderen Abends gewesen.

Georgette Dee & Terry Truck
„Kuschellieder und neue Schneegeschichten“ Ein Winter-Spezial-Konzertabend
am 4.12.17 im Tivoli Theater Hamburg

5 Antworten auf “Schneelieder von Georgette Dee – Ein Rückblick”

  1. Ich weiß es ja! Das ist das Schlimme. Ich habe es nur wieder verschusselt! 😩
    Ich habe sie das erste Mal vor ca 15 Jahren gesehen. Meine damalige Begleitung ist in der Pause geflohen und konnte gar nicht verstehen, dass ich so begeistert war. Er hatte sie schlicht nicht verstanden.
    Seitdem war ich noch etliche Jahre überall und habe mich letztendlich auf eben dieses Event Anfang Dez. eingeschossen, aber die letzten Jahre ist es irgendwie untergegangen, obwohl ich (bis auf dieses Jahr) sogar Karten hatte. 😢

    Aber März ist auch toll ! 😜

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