(m)ein europäisches Versprechen

„Mein europäisches Versprechen“. Darüber soll ich schreiben. Dazu wurde ich von Johannes Korten, einem Menschen dem ich viel verdanke und der alle Kraft beständig dafür einsetzt zu vernetzen und zu verbinden, aufgefordert. Motiviert gebeten, um eine Blogparade zu unterstützen, die sich mit den unterschiedlichsten Gedanken und Gefühlen zu Europa, zu den aktuellen Herausforderungen, die sich jedem einzelnen stellen, beschäftigt.

Wie gerne hätte ich mich davor gedrückt, so wie viele andere auch. Das Thema läuft sehr verhalten an, man findet Sorge im eigenen Kopf, Sorge in den Bedenken falsch verstanden zu werden, sogar Sorge davor, in der eigenen Meinung absolut nicht gefestigt zu sein. Mir zumindest ergeht es so damit, ich bin kein besonders politischer Mensch, dennoch ist es ein wichtiges Thema und wir Netzschreibenden haben vielleicht auch ein wenig Verantwortung dafür, Worte zu finden. Zumindest Worte, auch wenn sie nicht im Geringsten ausreichen werden, um in der aktuellen Situation rund um Refugees, um Menschen auf der Flucht, um politische Auseinandersetzungen „was wir leisten können und wollen“, wie wir mit Fremdem umgehen, gerecht zu werden.

Johannes Korten hat mit seinem eigenen Text zum Thema vorgelegt um Mut zu machen. Ich nicke bei allem was er schreibt. Dennoch bleibt mir persönlich dieser Ansatz zu statisch, so statisch wie dieses ganze Europa oder was wir dafür halten. Ich kann es, wenn überhaupt nur anders angehen, mit aller Zwiespältigkeit und Unausgegorenheit die in mir steckt.

Wenn meine elfjährige Tochter mich fragt, was an Deutschland so besonders wichtig und toll sei, dann fällt mir die Antwort sehr leicht. Frieden, Demokratie, Menschlichkeit, Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Geschlechtergleichheit, die freie Wahl sein Leben nach eigenen Maßstäben zu gestalten, solange sie nicht mit anderen kollidieren, das sind für mich elementare Grundpfeiler meines Seins. Das ist alles woran ich glaube und glauben möchte, es sind die Werte, die ich als wertvoll und schützenswert erachte. Ich empfinde es als großes Glück in einem Land geboren zu sein und zu leben, in dem diese Werte einen hohen Stellenwert besitzen.

Ich habe sie lange auch als „europäische“ Werte gesehen. In den letzten Monaten hat sich diese Wahrnehmung teilweise geändert. Im eigenen und fremden Land. Nichts davon ist selbstverständlich, Ungarn, Rumänien, auch Teile unsere eigene Regierung stellen diese Werte auf eine große Probe. Humanismus beugt sich dem Götzen Kapitalismus. Das ist nicht neu, nur bisher konnte man leichter die Augen davor verschließen. Den inneren wie äußeren Frieden haben wir fast nebenbei verloren, die europäischen Staatsmächte glauben gegen ein fanatisches Monster wie den IS mit Rache und Krieg etwas ausrichten zu können, gleichzeitig wächst der kranke Fanatismus auch innerhalb Deutschlands. Das ist alles nur allzu bekannt, es macht keinen Sinn an dieser Stelle den ganzen Wahnsinn nochmals aufzulisten.

Konkret bleiben diese Werte aber meine Werte. Sie bedeuten mir etwas, sie möchte ich in meinem Leben vertreten, ich möchte sie auch geschützt wissen. Ich halte es für eine unabdingbare Pflicht, dass Europa Menschen auf der Flucht menschenwürdig aufnimmt und ihnen schnell und unbürokratisch hilft. Das wird kosten. Ja natürlich, aber einen Großteil unseres deutschen Reichtums, auch wenn er schon lange nicht mehr gerecht in allen gesellschaftlichen Schichten ankommt, haben wir auf dem Rücken anderer Länder erwirtschaftet. Wir haben ganz einfach die Verpflichtung das endlich einzusehen und anders zu handeln, als wir es bisher bequem getan haben.

Ich merke, dass ich erschüttert von den vielen Stimmen im Umfeld bin, die sich über Smartphones echauffieren, die ihrer Meinung nach einen glaubhaften Flüchtlingsstatus in Frage stellen. Ich bin fassungslos über die Begrenztheit des Denkens und die Größe der Angst, die meiner Meinung nach dieser Bewertung zugrunde liegt.

Und obwohl ich darüber fassungslos bin, habe auch ich Sorge.
Ich respektiere den Islam wie jede andere Religion und möchte, dass dieser Glaube frei gelebt werden kann. Fremd bleibt er mir dennoch. Er besitzt Ansichten, die mit einigen von mir kollidieren. Ich möchte in meiner Heimat nicht in einem islamisierten Land leben. Ich wünsche mir alle Glaubensrichtungen, auch die Freiheit nicht zu glauben, gleichberechtigt nebeneinander. Das ist möglich. Wenn man in Hamburg St.Georg lebt, weiß man dass dies möglich ist. Was im Kleinen funktioniert, ist aufs Große übertragbar. Eine meiner Aufgaben als Elternvertreterin der Grundschuljahre meiner Tochter war, die Kinder, Eltern und Geschwisterkinder aller Nationalitäten einer Klasse zu einem gemeinsamen Verbund zu machen. Das ist gelungen und gelingt in anderen Jahrgängen auch weiterhin. Es bedarf gegenseitiger Wertschätzung und dem gemeinsamen Interesse ein Miteinander aufzubauen. Es bedarf bei den jährlichen Sommerfesten unterschiedlichen Grills oder der Entscheidung Schwein durch Rind zu ersetzen, aber es ist völlig unproblematisch möglich, wenn der Wille da ist, sich gegenseitig zu integrieren. Keine Gewinner und keine Verlierer. Gemeinsam in einem Land, einer Stadt, einem Viertel zu leben, – mit gegenseitigem Respekt ist dies möglich. Nichts anderes wünsche ich mir von und für Europa und bin ich bereit meinen Anteil daran Tag für Tag zu übernehmen.

Aber ich erwarte auch, dass ich Menschen die mir begegnen ins Gesicht sehen kann. In unseren Gesichtern begegnen und lesen wir einander, ich akzeptiere den Wunsch sich hinter einer Burka zu sichern, definitiv nicht. Welcher Glaube auch immer dafür verantwortlich ist, er übersteigt eine zwischenmenschliche Basis die in unserer westlichen Kultur elementar ist. Ich möchte sie respektiert wissen. Das gilt auch moslemischen Müttern gegenüber, die Hemmungen haben ihren heranwachsenden Söhnen Grenzen aufzuzeigen und damit grenzenlose Machos großziehen, die in „meiner“ Kultur glücklicherweise überholt sind. Diese Mütter sind nicht die Norm, ich habe viele andere kennengelernt, ihnen gehört mein uneingeschränkter Respekt gegenüber ihrem klaren Verständnis von Integration und der Zukunft ihrer, unserer, der Kinder.

Ich habe mich im Kleinen eingebracht und in den Messehallen Hamburg Kleidung gespendet und sortiert. Aber ich sah und sehe keinen Sinn darin, darüber auf Facebook zu tönen oder irgendjemanden verpflichtet zu sehen, dies zu tun. Ich habe auch zu keinem Zeitpunkt ankommende Flüchtlinge beklatscht. Es erschien mir völlig abwegig dies zu tun, vielleicht bin ich einfach ein seltsamer Mensch, aber wenn ich mich versuche in die Situation dieser Menschen zu versetzen, wäre das letzte was ich bräuchte, debil klatschende Deutsche an Bahnhöfen.
Aber ich habe große Achtung vor Menschen, die sich ganz leise und mit großem Selbstverständnis immer wieder neu dafür einsetzen, dass für andere schnell und unbürokratisch etwas Positives passiert, gerade wenn Länder und Kommunen unerträglich lange auf ihren Anteil warten lassen. Am Hamburger Hauptbahnhof zu erleben, wie hilflos die Stadt den ankommenden Flüchtlingen gegenüberstand, war unglaublich. Ich hätte mir einen persönlichen, glaubhaften Einsatz wie den des Münchner Oberbürgermeisters gewünscht. Hut ab, was Herr Reiter dort geleistet hat.

Es wird mir übel, wenn ich Seehofer & Konsorten dummdreist und eine ganze unchristliche Partei verstrahlt, für geschlossene Grenzen wettern höre und eine Vertrauensfrage in den Parlamenten gestellt wird, für die aktuell weder Zeit noch Sinn existieren. Das ist ganz armselig deutsch, vielleicht auch armselig europäisch. Und ich halte bspw. auch den Rachefeldzug der französischen Regierung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die europäischen Verbündeten, für so falsch wie ein Ansatz gegen Terrorismus nur falsch sein kann, weil er wie so oft die Falschen trifft und Frieden nicht über Krieg zu gewinnen ist.

Aber ich war vor kurzem in Paris und bin völlig fasziniert von den Menschen dort. Es wäre mehr als verständlich, wenn nach den aktuellen Attentaten die Angst groß und deutliche Distanz spürbar wäre. Aber alle Franzosen denen ich in diesen Tagen begegnete, zeigten sich so offen, hilfsbereit, freundlich und weiterhin leicht gegenüber anderen Nationalitäten, dass es mich tief berührt hat, wie diese Stadt bereit ist, ihre weltstädtische Kultur, ihre Freiheit und Werte, weiterhin demonstrativ zu zeigen, zu leben und glaubhaft zu vertreten.

Es sind die Menschen die menschliches tun.
An allen Ecken, in allen Ländern, auf der Flucht oder gesichert in einer Heimat. Die Menschen entscheiden sich immer wieder neu für die Zukunft, für ihre Kinder und Familien, für den Wunsch nach Frieden. Die Mehrzahl der Menschen tut das.

Ich würde nicht darauf wetten, dass Europa politisch gut für alle seine verbundenen Länder ist. Alleine wie es die griechische Bevölkerung dem Geldgötzen opferte, während jede sich verspekulierende Bank jede Rettung erfährt, führt diesen Verbund ja bereits ins Absurde.

Aber wenn ein Großteil der einzelnen Menschen in diesem Europa, sich ähnlichen Werten verbunden fühlt und diese Werte neu und bewusst mit viel mit Menschlichkeit, Freiheit, Weltoffenheit und demokratischem Miteinander zu tun haben, dann steckt da zumindest auch eine Menge Potential drin.

Unter dieser Prämisse fühle ich mich dann auch gerne als Europäerin in einem neuen Europa.
Und wenn es so etwas wie ein „europäisches Versprechen“ geben sollte, ohne dabei ehrenrührig oder überheblich zu werden, dann wäre meines wohl genau dieses: dass ich mich als Mensch mit meinen Möglichkeiten immer diesen westlichen, weltoffenen Werten verpflichtet fühlen werde. Dass mein Verhalten und Einsatz an Menschlichkeit, die Sorge vor dem Fremden überwiegt und sich diese nie zu übertriebener Angst auswächst.

Das ist eine Entscheidung für eine bessere Welt. Zumindest für den Versuch.
Und ich habe meinen kleinen, immerwährenden Anteil daran.
Man mag das als naiv sehen. Das fällt unter Meinungsfreiheit.
Ein hohes Gut. Eines, das es zu bewahren und zu vertreten gilt, so wie viele andere auch.
Eines, dem der Mut, es für mehr Mitmenschlichkeit einzusetzen, jedoch besonders gut steht.

Candy Bukowski

Jeder Schreibende ist übrigens herzlich eingeladen, an dieser „Blogparade“ teilzunehmen und seine Stimme per Blog und sozialen Medien unter #‎europeanpromise‬ zu teilen.

9 Antworten auf “(m)ein europäisches Versprechen”

  1. Eine grossartige Haltung, die du einnimmst und die ich gerne mit dir teile. Auch für mich wäre es eine Herausforderung all das mal in Worte zu fassen. Du hast es mit Bravour getan. Mal schauen ob und wie meins aussehen könnte.
    Ich grüsse dich herzlich
    Ulli

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    1. Danke, liebe Ulli, aber so großartig finde ich das alles nicht. Es ist nur gut, sich selbst da immer mal wieder selbst zu committen. Ja bitte, schreib! Es braucht viele Stimmen. Wäre schön, wenn Du mitmachst! Liebe Grüße, Candy

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