Die Kassiererinnen bei Edeka tragen dieses Jahr Haarreifen mit kleinen Rentiergeweihen auf ihren Köpfen. Die gesamte Menschenschlange vor den Warenbändern hat beschlossen dies zu ignorieren. Keiner verzieht eine Miene oder macht einen Scherz. Ob wohl eine der Angestellten mit sprühendem Humor, Anfang Dezember ihre Kolleginnen freiwillig dazu anstiftete? Oder war das eine innovative Idee in Richtung Kundennähe, aus dem Abrechnungskabuff mit dem verspiegelten Glasfenster? Dann sollte, nach meinem Geschmack, bitte auch noch ein Marktleiter mit blinkender „Rudi Rednose“ um die Ecke kommen. Leader und so. Damit das stimmig ist. Und Lieder auch, klar. Wham beschallt zuverlässig auch in 2014 meine Öhrchen mit Christmas letzten Jahres. Und all der vielen zuvor.
Draußen laufen alle mit Schirm durchs fade Schmuddelwetter und rufen nach Schnee. Jetzt wäre der angesagt. Genau jetzt, fürs richtige Gefühl, denn in einer guten Woche ist es doch schon wieder soweit. Ich ertappe mich dabei, vereinzelt mitzurufen. Weihnachten ohne Schnee, das ist doch nichts. Da wollen wir uns doch, eingemummelt bis zu den Nasenspitzen, bei einem Spaziergang die Finger in den Fäustlingen warm klopfen und uns rotwangig glücklich am Baum versammeln.
Den Amazon pünktlich geliefert hat. Frisch geschlagene Nordmanntanne aus dem Teutoburger Wald, spitzenschonend professionell im Hochkantkarton versendet. Per Prime. Eh klar. Die DHL-Fahrer kotzen, aber bringen jetzt den Baum gleich zusammen mit den Geschenken direkt an die Tür. Hach, das Leben kann so großartig einfach sein.
Die letzten Tage vor den Ferien. Töchterchen schlendert schulrucksackbepackt morgens um 7:15 Uhr, in stockdunkler Nacht, zur U-Bahn. Sie begegnet dem Nachbarn und erzählt ihm wörtlich, dass „das Schicksal ihr in diesem Jahr beim Wichteln einen Jungen zugeteilt hätte. Warum auch immer“. Hach, das Leben kann eine unverständliche Herausforderung sein.
Morgen werde ich mich ein einziges Mal in den Stadttumult werfen und zusammen mit allen anderen Geschenke für die Lieben jagen. Wir schenken uns ja nichts, aber so ganz ohne ist dann ja auch blöd. Also ab in die Buchhandlung. Bücher kommen immer gut. Etwas für den Intellekt und die staden, schönen Tage, wenn wir alle ungewohnt viel freie Zeit haben und so unheimlich entspannt sind. Bis uns diese Scheiß Feiertage mit ihrem familiären Stillstand dann auch wieder gehörig auf den Senkel gehen.
Ich träume ja seit ewigen Zeiten von einem superfröhlichen Weihnachtsfest unter einer Menge Freunden. Von einer wirklich entspannten Auszeit, von gemeinsam kochen, feiern, essen, trinken und Spaß haben. Von einer dreitägigen Glücksorgie unter vielen, vielen Lieben. Vermutlich habe ich aber nur zuviele Sitcoms gesehen und wurde von Wham unterschwellig dauerinfiltriert. Im realen Leben geht sowas nicht zusammen, alle planen sich durch die Familien, durch Schwiegereltern, Nichten, Neffen, jeden Tag eine neue knusprige Gans unterm Arm. Oder Ente. Kinners, machen wir doch dieses Jahr mal Ente! All das arme Geschnabeltier. Aber schön, aber schön ist es dann ja eben doch.
Buchhandlung also. Nur Buchhandlung. Ich tue mir doch den furchtbaren Geschenkerummel nicht an. Ab zu Thalia, hardcore-entspannt und dort alles finden, was den Lieben ein herzliches Zeichen ist. Darum geht es ja schließlich. Sich Zeichen der Liebe und der Wertschätzung sein. Kein Stress, bloß kein Stress, damit ist keinem gedient. Stille Nacht, heilige Nacht. War da sonst noch etwas? Vergessen. Egal. Die Jahresendzeit-Besinnungsstimmung wird es schon richten.
Naja, das Kind bekommt natürlich mehr als ein Buch. Weihnachten ist ein Kinderfest. Da werden Glückserinnerungen für ein ganzes Leben geschmiedet. Da denkt man vermutlich sogar mit Neunzig im Heim wieder daran. Wie schön das war, wie wunderbar. Und erinnert sich an Düfte. Gebacken. Klar haben wir gebacken. Gehört doch dazu, nicht wahr? Die Weihnachtswichtel in den weißbemehlten Schürzen, mit Marmelade verklebten Fingern. Aber für das Kind das Jugendzimmer. Verständlicher Herzenswunsch. Da wird jemand groß und fast schon erwachsen. Also werden wir „zwischen den Jahren“ wohl zwischen Ikea-Aufbauanleitungen verbringen und den Mini-Imbus schwingen. Also neben dem entspannt Bücher lesen und endlich mal zur Ruhe kommen. Von all dem vielen Jahr. Das ich bis heute nicht begriffen habe. Es gab da die ein oder andere Verständigungsschwierigkeit, zwischen den rasanten Tagen und meinem Hinterherhumpeln. Kaum hast du den Tag begriffen, ist er schon nicht mehr zuständig und verweist dich an den neuen Kollegen, einen Schalter weiter.
Wobei es auch keine Garantie ist die selbe Sprache zu sprechen, um zu bekommen was man möchte. Das habe ich vor ein paar Tagen begriffen. Am Würstchenstand. Ausgerechnet. Aber das ist ja das Schöne am Leben, dass es nie um eine plakative Banalität verlegen ist. Neben all dem besonderen Budenzauber, wenn die Herzen fliegen und die Sterne sprühen. Oder umgekehrt. Manchmal scheitert es bereits einfach nur an der Aussprache, an der persönlichen Einfärbung Sprache. So einfach ist das, man muss sich also keine allzu großen Selbstvorwürfe machen, wenn es hin und wieder einmal schief geht, mit der Verständigung.
So wie eben neulich am deutschen Würstchenstand, mitten im Hamburger Hauptbahnhof. Thai gegen vermutlich Russe, der eine hinter, der andere vor der Theke:
„Hast du auch Borrywurst?“
„Kurrywurst?“
„Meine ich Borrywurst mit Soße!“
„Nein, haben wir nur Kurrywurst. Meinst du Kurrywurst?“
Kopfschütteln. Der vermeintliche Russe zieht hungrig weiter.
Ich lache.Finde das Ganze unheimlich komisch.
„Na, der wollte doch eine Currywurst. Haben Sie doch.“
„Habe ich extra nochmal gefragt. Sagte, er will Borrywurst.“
„Was ist denn eine Borrywurst?“
„Weiß nicht. Habe nur Kurrywurst.“
Nach schlappen drei Minuten tigert der Russe wieder an und bestellt sich eine Rote mit Senf und Brötchen. Das Leben ist herrlich. Wie oft steht man vor dem reichen Futternapf und nimmt dann doch nur 2.Wahl? Weil man die Erste etwas falsch ausspricht und somit nicht verstanden wird. Oder den Blick nicht über den Thekenrand bekommt. Aber satt werden wir immer, auch das nicht selbstverständlich.
Auf dem Fatzebook teilen jetzt alle die Meldungen über die Kältebusse in den Großstädten. Wo man anrufen soll, wenn so eine arme Sau bei der Kälte im Freien liegt. Ist ja auch einfacher als jemanden einfach mit ins Haus zu nehmen und ihm vielleicht ein heisses Bad, ein Stück von der Gans und einen Schlafplatz anzubieten. Man weiß ja nie, das würde ja auch alles durcheinanderbringen, schließlich ist Weihnachten.
Ich mache bei der Sperrung des Stalls natürlich keine Ausnahme.
Bethlehem ist weit und Gold und Myrrhe ausgegangen.
Sind ja auch nur ein paar Tage. Dann tragen die Edeka Verkäuferinnen ihr Haar wieder ungeschmückt, wir remittieren die Normanntanne bei Amazon, Wham hat für 11 Monate ausgedudelt und frisch geschlüpfte Gänse freuen sich des Lebens. Dann treffen wir uns wieder im normal bekannten Getümmel. Vielleicht sogar, wenn irgendeiner es versteht, bei einer Borrywurst mit Soße.
Frohe Weihnachten, Ihr Lieben.
Candy Bukowski
Liest sich ja wieder wunderbar und kommt einem so verflixt bekannt vor!!😁
Dann mal viel Spaß beim jagen!!😉
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Wir kochen, feiern und essen zusammen und sind dabei glücklich.
Und das als Familie.
Liebe Grüße:-)
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„Aber das ist ja das Schöne am Leben, dass es nie um eine plakative Banalität verlegen ist.“
Herrlich – ein wunderbar-grotesker Mix aus Tiefgang, Satire, Weisheit und Banalität. I love it. So, genauso nehme ich das ganze Gedöns mit Weihnacht auch war. Und genauso hilflos bin ich auch dem allem gegenüber.
Danke!
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:)
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Donnerwetter, ein fulminanter Abgesang auf den Mammon und den oberflächlichen Schein.
Nordmanntannen haben wir hier nicht.
Antwortet der Teutoburger Breitmaulfrosch spitzmäulig auf die Frage des Storchenvogels aus dem hohen Norden auf die Frage nach stolzen Nordmanntannenmannen aus dem Teutoburger Wald:
Dü gübts hür nücht…
Aber mich deucht, im Staate Dänemark is something rotten, pardong, soll heißen sind sie am rotten, ausrotten, roden…für die invasionären Amazonpoden.
Und wenn Russe und Inder lost in translation sind, schneckt die Borrywurst frei nach Bollywood tanzend zum Donkosakenchor.
Das Ganze garniert mit Schirm, Charme und einem kleinen Schneewunsch, weißmehlbepudert, warm gefäustelt im Sonnenschein.
Was Echtes, was nicht künstlich weggeblinkert werden kann.
Vom Echten wünsch ich Dir ganz viel und dass das neue Jahr ein Gutes für Dich wird. Mit vielen guten Gründen zum Lachen.
Dieser Text hat mir jedenfalls heute den grauen Tag erhellt, dank Deinem Humor, vielen Dank.
Lieber Gruß von der Karfunkelfee
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da fällt mir Harald Schmidt ein: “ die letzte Wurst im Stehen “
Frohe Weihnachten
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Wirklich sehr unterhaltsam :)
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