Ein ehrenwertes Haus

Typisch Hamburger Backstein, aus den 60ern. Da wurde noch massiv gebaut. Bodenständig, ohne überflüssigen SchnickSchnack. Nicht wie die Neubauten nebenan, mit ihren eiskalten Stahlgerüsten, frontverglast, Kinderzimmer so klein wie Karnickelställe, dafür weiträumiges Wohnen auf dem Präsentierteller. Hauptsächlich Schwule und sich selbst verwirklichende Paare leben dort. Bei uns ist das anders, da mischt es sich durch. Aber, ganz klar: es ist ein ehrenwertes Haus.

Der Typ unter mir ist Hausmeister. Also nicht hier, irgendwo anders, aber er kann seinen Job nicht so leicht ablegen, er bringt ihn gerne mit nach Haus. Und wenn es ihn so richtig reisst, dann entsorgt er die Schlafsäcke der Obdachlosen, die sich manchmal unten im windgeschützten Vorhof ein Quartier für die Nacht suchen. Oder vertreibt das türkische, junge Liebespärchen aus dem Kelleraufgang. Wo kämen wir denn da hin, wenn die Grundordnung nicht gewahrt bliebe? Er zahle schließlich einen Haufen Geld für die bevorzugte Wohnlage, die so bevorzugt ja nicht sei, mit Pennern vor der Tür, vor denen sich wiederum seine Frau fürchten müsse. Er tut das alles nur für uns, für die allgemeine Sicherheit, für unser Portemonnaie. Kostet ja schließlich alles Geld, was man sich so leisten möchte. Er leistet sich gerne etwas. Mitte 30, der Typ, man will es nicht glauben.

Nebenan lifestylt die Medienfront. Da geht was, da kommt Erfolg ins Haus. Da wird Meinung gemacht und Radio und ganze Bücher werden dort geschrieben. Da herrscht Pärchen- sogar Familienglück. Mit den erlaubten 2 Quotenkindern und Buggy, Karre, 1000 Schuhen vor der Tür. Alternativ das kühle Entre, klare Linien, klare Räume, ab 22 Uhr Ruhe auf dem Balkon. Man geht früh schlafen, der Tag stellt seine Herausforderungen. Ein bißchen Hip, ein bißchen Vip. Und links-tolerant, aufgeschlossen, engagiert im Viertel. Ganz wichtig. Das gönnen wir uns.

Oben im Dachgeschoss ist vor einiger Zeit ein alter, klappriger Kettenraucher verstorben. Der hatte keinen mehr und dementsprechend zog es ziemlich streng durchs Treppenhaus, mitten im Hochsommer. Himmel, was aus so einem Menschen aber auch alles herausfließen kann und wieviel Lebendigkeit im Tod schon wieder zu finden ist. Eine Fachfirma für Sondermüll hat nach 3 Monaten die Wohnung geräumt und die Reste gelebter Jahrzehnte in einen Container entsorgt. Wuselnde Madenschichten auf fleckiger Matratze und vergilbten Fotoalben. Das war alles nicht schön, das hätte nicht sein müssen. Das hat uns alle auch ziemlich mitgenommen. Bis der grausige Gestank endlich aus dem Haus gelüftet war.

Bei dem alten Paar aus dem 2.Stock können wir es erwarten. Sie karrt morgens um Acht im Rollatorkörbchen die ersten Bierflaschen des Tages ins Haus, Zigarillo in der aufgestützten Hand, sehr gebeugt, aber das schafft sie noch, da kannst Du eine Uhr nach stellen. Er wehrt sich vehement gegen eine Gehhilfe. Bis vor kurzem war das noch sein Hund. Ein guter deutscher, scharfer Schäferhund, der bis zuletzt auch sein Kollege war. Zwei Wachmänner. Lahmend, hinkend, kaum ein Bein vor das andere bekommend. Jeden Abend sind sie zusammen losgekrochen, um irgendetwas zu bewachen, was wohl besonderen Schutzes bedarf. Unsere Politiker glauben an die Lüge “Minijobs” im funktionierenden Arbeitsmarkt. Die Wahrheit “irgendwie überleben” könnte sie erschrecken, wollen wir mal nicht dran rühren. Und wer hat jemals gesagt, dass alt werden leicht werden könnte? Eben.

Im 3. regiert alleinerziehend, glücklicher Weise mit nur einer ziemlich früh Pubertierenden. Man kann sie beide öfter durchs Haus hören. Lachend oder im kurzen, lauten Streit. Geschenkt wird sich dort nichts, und wenn dann eher italienisch. Die Mutter nicht mehr so ganz jung und man munkelt, in Teilen gescheitert.  Den Vater zum Kind wollte sie wohl nicht haben und seitdem geht es immer mal wieder etwas bunter zu. Sieht aktuell nach zuviel Tagesfreizeit aus und auch spätnachts brennt oft noch Licht.

Unterm Dach links, zwei Brüder, Mitte 50. Frühverrentet und wie einem Porno- oder Ludenfilm der 70er entsprungen. Die mag ich irgendwie. Einer, wie der andere, voneinander herunter gerissen. Dicker dunkelblonder Schnautzer im Gesicht, Vokuhila, Goldkettchen auf der behaarten Brust, lässig, sehr lässig. Keine Ahnung, wovon sie leben, aber sie leben gut und halten mal ein Schwätzchen im Aufzug. Über die Mietpreise und die Nachbarn und warum die Mülltonnen immer wieder wo anders stehen. Hin und wieder drehen sie die Anlage auf und beschallen das Viertel mit Hardrock. Dann habe ich extrem gute Laune, weil das ehrlich ist. Und unverstellt.

Die jung gebliebene Nette aus dem 1. sieht man kaum im Haus. Dafür wechselweise in allen Lokalitäten des Viertels. Da sitzt sie mit ihren beiden Freundinnen, alle round about Anfang 60, und trinkt sich freundlich lächelnd durch den Tag. Alte Gastronomenwitwen, die vertragen was. Kein Bier vor Vier, aber ein Gläschen Weißwein oder Prosecco geht immer. Und ich würde fast sagen, die Drei haben die beste Laune von allen. Da muss der angestrengte Werbefuzzi aus dem 4. lange kreativ für stricken. Und der Pastor vom Balkon gegenüber tief in die Predigtkiste für seine Schäfchen greifen.

Um all das einzufangen, was Leben ist. Ob wir es sehen wollen, oder nicht.
Kein Bier vor Vier. Aber ganz ehrlich: ich lebe gerne hier.

Candy Bukowski

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