Die Unsichtbare

Eine kleine Erzählung aus den Anfängen dieses Blogs, die noch einmal neu um Lesergunst buhlen darf:

Sie lebt ein wenig zwischen den Welten. Schläft im ehrenwerten Haus, hinter blitzeblanken, weißen Häkelgardinen, vermutlich auf einem blitzeblanken, weißen Bett. Einem schmalen, auf dem es sich eine Person gerade so gemütlich machen kann. Ein Bett, wie es Mensch mit Auszug aus dem Elterhaus verlässt und mancher es sich erst im höheren Alter wieder anschafft. Dann wenn sich der Kreis schließt und nicht unbedingt zu erwarten ist, dass es noch einmal geteilt werden könnte. Das Bett. Und das Leben. Und alles was man so tut, den schönen, langen Tag.

Sie lebt hier unsichtbar. Ganz still und leise. Man hört sie nicht, man sieht sie kaum. Und selbst wenn man sie sieht, huscht sie.
Sie huscht sogar auf ihren hohen Hacken, sie schafft es, auf Pumps lautlos zu klackern. Das ist wirklich magisch, sie hat etwas von der weißen, schwebenden Frau, von der man nicht weiß, ob sie aus der Menschen- oder Gespensterwelt stammt.

Wenn man durch die Unsichtbarkeit schaut, sieht man ihre feine Noblesse. Die hat sie, unbestritten. Sehr zart, sehr klein, sehr zerbrechlich, wie sie da durch die Gegend huscht. Immer gut gekleidet, immer in feinen Stoffen, in schmalen Röcken bis zum Knie, Twin Set, rundum geschmackvoll. Sie ist immer dezent geschminkt, trägt das wohl lange, weißblonde Haar gut frisiert, hochgesteckt, festbetoniert von Haarspray, sie ist ein 70er Revival an Damenhaftigkeit.

Und dabei so unheimlich viel Mädchen, dass der Widerspruch das Spiel mit Jahreszahlen herausfordert. Wie alt mag sie sein? Mitte 50? Anfang 60? Älter? Ich könnte sie noch oft huschen sehen, und würde diese Frage niemals beantworten können. Wir haben nicht wirklich etwas zu sprechen miteinander, aber wir grüßen uns immer freundlich. Sie hätte niemals damit angefangen, sie hatte am Anfang immer nur lächelnd genickt, mehr ging nicht, aus der Unsichtbarkeit heraus, aber ich glaube, sie mag es, dass ich sie sehe und inzwischen grüßt sie sogar mit netten Worten zurück.

Es ist im ehrenwerten Haus bekannt, dass sie zwischen den Welten lebt. Man hat ihr hier eine Art stille Aufenthaltsgenehmigung zugesprochen. Und sie hat diese  angenommen. Wenn sie morgens das Haus verlässt, huscht sie ein paar Straßen weiter, in den anderen Teil des Viertels. Dort steht sie seit Urzeiten mehr oder minder unsichtbar an der Ecke des Strassenstriches, der einem anderen, ehrenwerten Haus vorgelagert ist. Ein Zeitbenagter Altbau, die oberen 2 Stockwerke sind an normale Familien vermietet, die unteren dienen als Stundenhotel. Wenn man den teuer sanieren würde, könnten gutbetuchte Hamburger Kaufleute ein feines Geschäft machen. Das hat auch die Stadt erkannt, und so wird es etwas politisch, hier im Viertel, da wird jetzt durchgekehrt und sauber gemacht.

Noch steht sie dort, neben anderen Frauen. Jungen, schrillen und ein paar anderen ihres unbestimmbaren Alters. Mit großem Abstand in der Auslage des Lebens, aber sie ist die einzige, die dort so steht, als würde sie auf den Bus warten. Ein wenig verträumt, ein wenig abgeklärt, und immer noch auf eine eigene Art schön. Die Handtasche unter den Arm geklemmt, steht sie da und wartet auf die Ereignisse des Tages. Die sind hier eher alt, ungepflegt und trunken nach Berührung. Oder unverschämt, jung und auf einen Billigfick aus, nach dem man sich mit seinen Kumpels gruseln möchte.

Ich weiß nicht, ob sie eine Auswahl trifft. Zu wählen, muss man sich manchmal leisten können, und die Mieten sind hoch, hier im ehrenwerten Haus.
Dorthin huscht sie abends wieder nach Hause. Hinter die blitzeblanke, weiße Häkelgardine, ins blitzeblanke, weiße, schmale Bett.

Einmal nahm mich eine Nachbarin zur Seite und raunte mir schmerzhaft ins dafür taube Ohr: „Gestern Nacht war Krach und angetrunkenes Kichern im 2.Stock. Stell Dir nur mal vor, wenn die jetzt anfangen würde, ihre Freier mit nach Hause zu bringen! Das ginge doch gar nicht!“

Manchen Ehrenwerten kann der Mensch einfach nicht unsichtbar genug werden.

Candy Bukowski

5 Antworten auf “Die Unsichtbare”

  1. Leise Wertschätzung einer sicher ganz lieben Huschfrau- und wer weiß, wie sie dorthin kam, wo sie sich nun befindet. Ich nehme an, nah an der Wirklichkeit!?

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