In der Fleischerei Lafayette gingen eines Tages einfach die Herzen aus.
Zuerst war es keinem groß aufgefallen. Herzen wurden selten gefragt, in erster Linie ging hier wie in den meisten anderen Metzgereien Frischfleisch über den Ladentisch. Aber Lafayette war bekannt für die ausgezeichnete Qualität seiner Herzen, weshalb sie doch immer mal wieder nachgefragt wurden, um sie in einer formidablen Thymian-Rotwein-Soße zu besonderen Anlässen zu genießen.
Am Anfang ließ man sich nach einem kurzen Blick in die Auslage noch vertrösten. Momentan leider nein, aber sie kämen schon wieder. Ein kleiner Angebotsengpass, der in Kürze sicherlich behoben sei. Ob es vielleicht auch ein fantastisches Stück Leberlappen sein dürfte, oder ein Paar Nierchen, auch Lüngerl wären doch eine feine Sache. Aber wer wollte schon lapprige Leber oder andere Innereien, wenn es ihm nach einem prächtigen, starken Herzstück gelüstete. Bestes Muskelfleisch, butterweich bei der richtigen Zubereitung, groß und einnehmend. Ein feines Stück Lebenskraft, an dem man sich auftanken konnte. Belebend, beseelend, eine wahre Delikatesse. Dann und wann.
Ja, am Anfang ließ man sich noch vertrösten. Aber mit der Zeit wurde der gute Schlachter Lafayette immer unglaubwürdiger. Wie er da so stand in seiner weißen Schürze, ein wenig untersetzt, Schweißperlen auf der hohen Stirn, die bis zum spärlichen Haarkranz hinaufreichte. Ein Metzger, wie er im Buche steht, der aber immer unsicherer wurde, weil es sich ihm selbst nicht erschloss, weshalb es keine Herzen mehr gab.
Wie in der Vergangenheit jagte er selbst seine besonders gefragte Ware. Lafayette und Wild, das sprach sich fast in einem Namen. Er ging früh morgens auf die Pirsch, erspähte die schönsten Ricken, beobachtete sie ausdauernd und wenn es an der Zeit war, legte er an und traf zielsicher. Er machte klare Schnitte, weidete professionell aus, fand die schönsten Stücke. Aber Herzen fand er auf einmal nicht mehr, im fast noch pulsierenden Fleisch. Herzen waren aus. Warum auch immer.
Als ob es mit dem Teufel zuginge. Weshalb dieses unerklärliche Geheimnis auch mit allen Mitteln verschwiegen werden musste. Keinem Menschen dieser Welt kannst Du mit dem Teufel kommen, wenn er nach einem Herz verlangt. Vielleicht mit einem Wunder, aber doch niemals mit dem Teufel, und unter Wunder war die seltsame Angelegenheit einfach nicht zu verbuchen.
Also hübschte er die Fleischauslage auf und stellte hochwertigeste Wildkeulen ins Angebot. Einmal wollte ihn sogar einer heulend überm Wurstkessel gesehen haben, was die Sache allenfalls ominöser, aber keinesfalls erklärbarer machte.
Den guten Lafayette, den kannst Du vergessen, sagte man überall. Hinter vorgehaltener Hand, oder ganz offen. Der bringt nichts mehr. Weiß der Himmel, was der mit all den Herzen tut, aber in der Auslage gibt es schon ewig keine mehr, und wenn Du ihn fragst, dann weiß er nicht zu antworten. Man wurde unwirsch. Und verlor auch ansonsten das Interesse. Suchte sich eine andere Fleischerei, fand andere Delikatessen.
Lafayette schloß. Und ging auch nicht mehr zur Jagd.
Böse Zungen behaupten, er hätte später in Artischocken gemacht. Aber das ist bestimmt, eine an den Haaren herbei gezogene Geschichte. Wer würde sich schon, mit solch blutleeren Herzen zu besonderen Anlässen zufrieden geben?
Candy Bukowski
Ich bewundere den Haken, den die Geschichte am Ende schlägt.
Bei dem Namen Lafayette dachte ich zuerst an das Berliner Kaufhaus.
http://chh150845.wordpress.com/2011/12/11/jeden-tag-ein-foto-von-berlin-v/
Viel Spaß – es ist so frivol, dass es gut zu eurem Kalender passt!
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Ach, als ob hier jemand frivol… ;)
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Frovil … frivol … Da war doch noch etwas bloß was???
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Eine Weihnachtsgeschichte ist das, finde ich.
Und dann sinniere ich noch darüber nach, warum man den Menschen ganz allgemein nicht zumuten kann, dass es etwas nicht mehr gibt. Es mag aus sein. Aber nicht mehr? Die Gier kann doch nicht am Ende sein, der Anbieter ist nur der falsche. So leben wir und kaufen wir und feiern wir und sagen dann: Frohe Weihnachten.
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Das ist das interessante, wie viele Geschichten in jeder stecken, je nachdem, wer sie liest. Für mich ist Lafayette das Leben. Und ein wenig von ihm steckt in uns allen. Wir stehen vor der Theke und dahinter, benötigen die Herzen und sind ihnen manchmal nicht gewachsen. Eine Parabel, in der jeder, jeder ist.
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Austauschherzen, ein Übel (unserer)der Zeit.Eine großartige Geschichte, finde ich!
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Erkannt. Herzlichen Dank!
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„Herzlos“ – wie wahr, wie allgegenwärtig, wie simpel!
Danke für ein schönes Stück Geschriebenes, am Stück und nicht geschnitten!
Es war mir ein inneres Blumen-pflücken! :-)
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Ich danke Dir für diesen überaus feinen und feinsinnigen Kommentar :)
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mir sind artischockenherzen als vegi viiiel lieber …
klasse erzählt. was wohl ricken anstelle eines herzes haben, frag ich mich? und ob den tieren in den tierfabriken nicht längst schon die herzen ausgegangen sind?
fragen über fragen …
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Ab und zu muss es ein richtiges Herz sein, finde ich auch. Ein Rezept habe ich auch gefunden:
http://kormoranflug.wordpress.com/2011/02/10/heisses-herz/
Ausserdem gibt es noch Ochsenherzen:http://kormoranflug.wordpress.com/2009/09/16/artischocken-und-ochsenherzen/
Ein Jägerherz wäre auch nicht zu verachten, gegrillte Herzen würden mir stehen meinte einmal afra.
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Beim richtigen Herz stimme ich dir zu, auch wenn wir etwas unterschiedliche Vorstellungen davon haben ;) und ein Jägerherz… Nein. Das nicht mehr.
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Originelle Idee !
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HerzLos sind die Zeiten, es begann bei den zahmesten aller Tiere, so kam es, dass der Jäger sein gewehr in den Schrank schloss und zum Vegi wurde … immerhin fand er hier wieder Herzen …
eine tolle Geschichte
herzliche Grüsse Ulli
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