„Allein, alleiner, alleinerziehend“ – eine Rezension

Üblicherweise bespreche ich hier keine Bücher. Im Fall von Christine Finkes gerade erscheinendem Titel „Allein, alleiner, alleinerziehend – wie die Gesellschaft uns verrät und unsere Kinder im Stich lässt“ ist es mir allerdings ein echtes Anliegen. Und da mir durch Zufall auf Umwegen auch noch ein Rezensionsexemplar vom Lübbe Verlag ins Haus flatterte, gibt es diesmal eine Besprechung. Die Journalistin Christine Finke bloggt seit 2011 unter „Mama arbeitet“ über ihr Leben als Alleinerziehende mit 3 Kindern. Ich verfolge sporadisch ihren Blog und schätze sie sehr für ihre unerschütterliche Offenheit und den wichtigen gesellschaftspolitischen Anstoß, den sie damit vehement gibt. Persönlich kennen wir uns nicht, soviel vorab.

„Allein, alleiner, alleinerziehend“ ist ein wichtiges Buch. Und das Wichtigste, was die Autorin bringen musste, um damit ernst genommen zu werden, erfüllt sie meiner Meinung nach glänzend. Sie macht ihre eigene Situation zum Beispiel, sie bleibt dabei extrem offen und persönlich, sie lässt auch wichtige Relativierungen einfließen und erzählt von Erfahrungen anderer. Aber eines tut sie nicht: sie jammert nicht, sie greift nicht an, stellt uns Alleinerziehende nicht als schwache Bittsteller und verzweifelte Familienversager dar und legt trotzdem deutlich und notwendig alle Finger in eine Wunde, die gesellschaftlich einfach nicht mehr ignoriert werden darf.

Keine Frau – und es sind einfach überwiegend die Frauen, die nach einer Trennung ihr Leben mit Kindern in einer Form der Herausforderung führen, wie es zuvor unvorstellbar war – tut diesen Schritt naiv und unüberlegt. Der Grund dafür ist – immer – dass das Familienmodell in existenter Form unerträglich geworden ist. Niemand würde sich die Alternative leichtfertig antun. Und die Alternative ist – wie von Christine Finke ebenso deutlich, wie unleidend beschrieben – ein existenzieller Absturz. Einer, vor dem weder Bildung, noch Mittelschicht und der Wille zu Flexibilität und vollem Einsatz in allen Bereichen, bewahrt.

Warum das so ist – und nicht länger so bleiben darf – wurde von der Autorin in dreizehn Kapiteln zusammengetragen, nachvollziehbar erklärt und mit wichtigen Zahlen unterlegt. Das fängt bei einem gewissen Unverständnis des Umfelds an, das eine selbstgewählte Entscheidung eben als selbstgewähltes Risiko bewertet, zieht sich über die existente Kinderarmut in alleinerziehenden Familien (die staatlich nicht als Familie bewertet werden), über die in logischer Konsequenz folgende Altersarmut vollzeitarbeitender Mütter und endet noch lange nicht bei dauerhafter Überlastung, bei jahrelanger Übertretung körperlicher und seelischer Grenzen, bei der Unsinnigkeit von „Mutter-Kind-Kuren“ und der Tatsache, dass die familiäre Situation  1,6 Mio (!!) Alleinerziehender in Deutschland gesellschaftlich und politisch eine gewaltige Neubestimmung und offensichtliche Unterstützung benötigt.

Bei all dem – und das ist mir wirklich wichtig – schafft es Christine Finke stark und gelassen zu schreiben und kein Mitleid zu heischen. Worum es auch keiner von uns Betroffenen ginge, auch wenn man sich Satz für Satz in ihren klaren Darstellungen, im Scheitern wie Kämpfen, wiedererkennt. Alleinerziehende verschwinden über Jahre, teilweise Jahrzehnte, aus Lebensanteilen, die jedem normalen Mensch selbstverständlich erscheinen. Es darf ausgesprochen werden, dass das „allein“ aus „alleinerziehend“ sich in unvorstellbarem Maße von einem „fühle mich manchmal allein verantwortlich“ in Ehe und Partnerschaft unterscheidet.

Ein einziges Kapitel fehlt mir persönlich in diesem Buch allerdings sehr. Auch wenn die Autorin Einsamkeit, das Fehlen eines erwachsenen Umfeldes und partnerschaftlicher Wahrnehmung anspricht: ein elementares Thema bleibt in diesem Band leider ausgeklammert. Alleinerziehende sind erwachsene Menschen mit erwachsenen Bedürfnissen. Sowohl der fehlende Wunsch nach Sexualität und/oder einer neuen Partnerschaft, als auch die Erfahrung wie schwierig es ist, diese völlig normalen Bedürfnisse in ein Leben als Alleinerziehende zu integrieren, haben ihre Gründe. Meiner Meinung nach, hätten sie diesen Titel vervollständigt.

Davon ab allerdings: ein wichtiges, ein gutes, ein so notwendiges Buch!
Ich wünsche mir, dass es in Stapeln überall zu finden ist, wo es Menschen erreicht.
Vor allem hoffe ich, dass es auch viele von denen lesen, die glauben selbst nicht betroffen zu sein. Auch wenn ich niemandem wünsche, dass er/sie zu einem persönlich Betroffenen wird, das geht manchmal schneller als man/frau denkt.
Und jeder, definitiv jeder, hat in seinem privaten, schulischen, beruflichen Umfeld mit uns und unseren Kindern zu tun. Bisher werden Alleinerziehende – auch weil sie zu still sind und die Dinge bis zur Selbstaufgabe akzeptieren wie sie sind – oft verraten, zumindest vergessen und in ihren Leistungen und Kämpfen ignoriert. Politischer Wandel fängt in der Gesellschaft an. Es ist notwendig endlich hinzuschauen und deutliche Verbesserungen zu unterstützen und zu ermöglichen. Vielleicht kommt dieses Buch von Christine Finke zur richtigen Zeit, mit der notwendigen Kraft und dem nötigen Aufsehen. Mit ausreichend Herzblut und Können dafür, wurde es verfasst.

allein

 

Christine Finke
„Allein, alleiner, alleinerziehend – Wie die Gesellschaft uns verrät und unsere Kinder im Stich lässt“
Lübbe Verlag
3-7857-2559-7
14,99 €

 

 

 

 

7 Antworten auf “„Allein, alleiner, alleinerziehend“ – eine Rezension”

  1. Eine schöne Rezension, bin schon ganz gespannt!
    Zu dem gewünschten Kapitel: in wenigen Wochen erscheint noch das Buch von Dr. Alexander Widmer, da wirst du garantiert fündig! :) Ich bin froh, dass diese beiden Bücher auf den Markt kommen.

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  2. „Keine Frau – und es sind einfach überwiegend die Frauen, die nach einer Trennung ihr Leben mit Kindern in einer Form der Herausforderung führen, wie es zuvor unvorstellbar war – tut diesen Schritt naiv und unüberlegt. Der Grund dafür ist – immer – dass das Familienmodell in existenter Form unerträglich geworden ist. Niemand würde sich die Alternative leichtfertig antun.“

    Ich weiss nicht so recht… Das ist mir eine zu verallgemeinernde Beschreibung für eine zu große Personengruppe. Nicht zuletzt aus eigener Erfahrung (als teilalleinerziehender Vater) weiss ich, dass durchaus nicht ausreichend überlegte Entscheidungen getroffen werden können, die gravierende Konsequenzen nachsichziehen. Dazu muss dann nicht immer die Schuld bei irgendwem oder irgendwas anderem gesucht werden.

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