Vom unbezahlbaren Luxus vor Luxor

Nicht geschenkt hatte sie diesen Urlaub damals haben wollen. Nicht geschenkt.
Aber da sich die Schwestern Pfote in Sachen Dickköpfigkeit in nichts nachstanden, hatte sie ihn schließlich bezahlt und sich Gottsergeben auch ein wenig darauf gefreut.

„Wir verreisen!“, war die Ansage von Lisa Pfote gewesen. „Um genau zu sein, machen wir einen Abenteuerurlaub, denn so jung kommen wir nicht mehr zusammen. Und Du kannst wählen, ob Du lieber zu Fuß den Sinai besteigen möchtest, oder ob wir mit einer Feluke über den Nil schippern“. Sprachs und schob lässig zwei Reiseprospekte über den Tisch, der Älteren entgegen, deren Füße meist in Pumps steckten. Eine denkbar schlechte Voraussetzung für den Sinai.
Keine Frage, zwischen Pest und Cholera wählte Lena Pfote das Schippern über den Nil. Lackierte ihre langen, roten Nägel ab, kürzte sie auf fast schmerzhaftes Fingerspitzenkribbeln zurück und besorgte sich ein paar flache, ordentliche Treter inkl. sandfarbenem Wüstenoutfit. Nur das Notwendigste kam in den Rucksack. Praktische Ersatzwäsche, Kulturbeutel, Papier, Stift, Bücher, ein alternativer Reiseführer dick wie eine Bibel, Notfallapotheke, was man eben so braucht, für einen Abenteuerurlaub, den man nicht geschenkt haben möchte.

Bereits auf der Fahrt im klapprigen Bus vom Flughafen an den Hafen von Assuan, fehlte das Wasser. Kein Bier, kein Prosecco, nein pures Wasser. Ohne Kohlensäure und anderen Schnickschnack, kein Forever Jungundschön-Vitel, einfach frisches Wasser in riesigen Plastikflaschen, um auszugleichen, was an Schweiß in Strömen aus den Poren rann.
Außer den Schwestern Pfote schwitzte noch ein junger, bebrillter Optiker aus Würzburg an der Kaimauer, dessen Freundin sich zwischen Buchung und Reiseantritt von ihm getrennt hatte. Vielleicht war Abenteuerurlaub nicht so ganz ihr Ding. Vielleicht auch nicht der dick bebrillte Optiker, der in breitem Fränkisch den heißen Tag nicht vor dem Abend lobte. Eine Traummannschaft an lockeren Passagieren, die sich die Neckermann-gebuchte Bootscrew für die letzte Fahrt des Jahres da an Land gezogen hatte.

Besser: an Bord. Auf 7 Meter Holzboot, rustikal wie zur Zeit der alten Pharaonen. Man musste ihnen über das lange, fußschmale Brett auf den Minisegler helfen, der kein Stück Vertrauenserweckend aussah. Ein Nutzboot. Ohne Unterdeck. Man würde sich arrangieren müssen. Platztechnisch und auch sonst. Die Schwestern Pfote verspürten ein unschönes Rumoren in den deutschen Gedärmen. Wer war nur auf diese unglaublich miese Idee eines Alternativurlaubes gekommen? Lisa Pfote zuckte die Schultern und versuchte sich mit Händen und Füßen bei Nadi dem Kapitän und Abu Achmed, dem Koch, verständlich zu machen. Von denen keiner schwitzte. Die nur mit stoischer Ruhe freundlich grinsend strahlend weiße Zähne zeigten. Zumindest die Namensfrage war geklärt, mehr würde sich wohl mit der Zeit ergeben.

Beim ersten Mahl an Bord, schauten sie rotgesichtig und hilflos in die Gegend.
Kaum Wind, die Feluke schipperte gemütlich, dank schwarzem Kaptän im luftigen Kaftan hinten am Ruder. Und Abu Achmed hatte gekocht. Das dreckig weiße Deck abgefegt, ein geblümtes Wachstischtuch ausgebreitet und den Bunzenbrenner aufgestellt. Fladenbrote direkt über die Gasflamme gelegt, machte sie schön knusprig, der leichte Benzingeschmack musste nicht stören. Dazu Tomaten und Gurken, frisch im Nilwasser gewaschen. Und erst der Hauptgang! Kartoffeln mit Nudeln. Good Old Germany lag 15 Stunden hinter ihnen, der Hunger treibt es bekanntlich schon rein.

Die erste Nacht. Wie die Sardinen aneinandergereiht in den Schlafsäcken. Das Deutschvolk schnatternd, es wird empfindlich kühl in den Nächten, Ende November, an Deck einer hölzernden Sardinenbüchse. Nur die Mannschaft, hatte sich einfach jeweils unter einer bunten Wolldecke schlafen gelegt. Man blickte schweigend in den Himmel, der so sternenklar war, daß das Universum damit in der Seele schmerzen konnte.

Frühmorgens galt es erstmalig zusammen zu helfen. Die Schlafsäcke vom Wüstensand befreien, der trotz dem vielen Wasser überall in der Luft hing. Alles ordentlich zur Seite räumen, einmal durchkehren mit dem strohenen Handfeger, das Wachstuch wieder ausbreiten, zum Bunzenbrenner-Fladenbrot wurde Marmelade im großen Glas gereicht. Wer clever gewesen wäre, hätte sich ein Campingbesteck für den alleinigen Gebrauch eingesteckt. Aber hier war keiner clever, hier wollte jeder nur aufs Klo. Auf irgendeines, oder dann eben hinter die Palme, und bitte niemals, niemals wieder Tomaten und Gurken in Nilwasser gewaschen. So, wie man hier keinesfalls die Füsse in den Fluss strecken sollte. Die Beine der freundlichen Mannschaft sprachen Bände von den Wasserfliegen, die ihre Larven unter menschlicher Haut ablegen. Wer war nochmal auf die miese Idee mit dem Abenteuerurlaub gekommen?

Aber auch erstmalig Ruhe, beim wiederholten Ablegen und Losschippern, Richtung Luxor, für 7 Tage. Vorbei an den den Wüstenbergen in der Ferne und dem üppigen Ufergrün. An einer unglaublichen Farbenpracht und einem Himmel in immer wieder neuen Schattierungen. An Fischern vorbei und an spielenden Kindern, die mit einem fast luftleeren Lederfussball bolzten, vorbei an weiter Strecke Nichts, nur Landschaft. Aber was für eine.
Da kehrte zum ersten Mal Ruhe ein, in jedem einzelnen, sie hatten begonnen sich zu klimatisieren und aufgehört, nur stumpf vor sich hinzuschwitzen, und zwischen den Zähnen geraunt vor sich hinzuschimpfen. Über das Karge, an dem Neckermann noch immer genug verdiente.

Bereits am zweiten Tag wurden sie allmählich ruhig und begannen zu ruhen. Seit langem einmal wieder in sich selbst. Jeder auf seine Art, der dickbrillige Optiker mit Stiftstummeln ins Notitzbuch kritzelnd, die Schwestern fotografierend, machmal mit, manchmal ohne Kamera. Leise Gespräche führend, über Dinge, die man schon lange nicht mehr besprochen hatte. „Wie geht es Dir eigentlich? Wo stehst Du gerade so, während Du hier sitzt und übers Wasser schaust? Was war Dein letzer großer Schmerz, den Du verschwiegen hast, und welches Glück ging tiefer als Du je erzählen wolltest?“

Bodenständiges tun. Kehren, die einfachen Plastikteller hervorholen, den Geschmack von Kartoffeln ohne weitere Zutat schmecken, Salz als wertvollstes Gewürz wieder neu wertzuschätzen wissen, überlegt damit umgehen. Auf Zuruf gemeinsam automatisiert die Köpfe einziehen, wenn der Wind dreht und das Segel umgesetzt werden muss. Weil wir sonst einfach nicht weiter kommen. Wasser trinken. Wasser teilen. Den Fuß trotz eierlegenden Wasserfliegen in den Flußlauf hängen. Wovor willst Du Dich schützen? Vor dem hier sein?

Wenn eines der gewaltig großen Kreuzfahrtschiffe in Gegenrichtung, Nilaufwärts an ihnen vorbei fuhr, gegenseitiges Staunen. Von oben blickten die Kabinenbewohner mit Kapitänsdinner-Buchung auf die Bodenplankenhocker in der Nussschale. Beide Seiten darüber einig, wie arm es wäre, jetzt an die andere Stelle zu tauschen. Wie kann man nur? Ja, wie kann man es nur so machen, während die angebotene Alternative doch ein wahrer Albtraum wäre. Arme Schweine auf beiden Seiten. Man war sich einig.

Sie legten an, wenn sie anlegen wollten und fuhren weiter, wenn sie weiterfahren wollten. Die Dinge wurden einfach und die Orte an Nilufer wundervoll. Die Bazare bunt und der Duft aller Gewürze dieses Landes hing schwer über den quirligen Gängen. Auf der Mitte der Strecke hatte Nadi der Kapitän sie eingeladen, seine Familie zu besuchen. Außerhalb der kleinen Städte, mitten im grünen Landstrich hatte er sich mit Frau, Kindern und Eltern angesiedelt und ihnen stolz sein Haus gezeigt. Der Grundriss war abgesteckt. Zwei Zimmer und ein kleiner Nebenraum. Die Grundmauern inzwischen knapp einen Meter hoch. Es würde bald fertig werden und ein wunderbares Zuhause sein, in 2 oder 3 Jahren, dann wenn er genug gebrannte Steine zusammenverdient haben würde. Eine ganz besondere Gastfreundschaft, in diesen Grundmauern zum Essen eingeladen zu werden. Ohne Hoffnung oder Ansinnen auf Bakschisch. Jetzt, wo sie angekommen waren, waren sie Gäste. Und willkommen.

Sie segelten immer weiter, in dreckigen Klamotten, mit ungewöhnlich sauberen Gedanken und klarem Tun. Wenn sich einer vorne an den Bug setzte und die Beine nach draußen hing, dann hatte er eine unsichtbare Tür hinter sich geschlossen. Die jeder respektierte und niemals ungebeten geöffnet hätte. Dann war er eben weg und würde wieder kommen. Im knallroten Sonnenuntergang zum Abendessen, oder eben zum frisch ausgerollten Schlafsack. Wenn 100 Meter weiter oben gerade ein toter Esel in den Nil geworfen wurde. Und sie sich hier unten noch schnell ein Shirt auswuschen, oder sich die Zahnbürste dann doch lieber mit Flaschenwasser benetzten.

Nach den 7 Tagen waren sie so sehr angekommen, dass sie liebend gerne geblieben wären. Es war eine Woche voller Respekt gewesen. Voreinander, vor den Dingen, vor dem Sein. Sie hatten auch eine gemeinsame Sprache gefunden.
Eine Art Englischarabischdeutschfränkisch mit Händen, Füßen und Freundlichkeit. Sie hatten sich Worte in ihren unterschiedlichen Sprachen beigebracht und lachend gemeinsam „Ein Esel hat vier Beiner, an jeder Ecke einer“ rezitiert. Von Kapitän Nadi, dem stolzen Seemann, wurde zum guten Schluß in den alternativen Reiseführer, dick wie eine Bibel, ein langer, arabischer Gruß geschrieben. Und dann waren sie im Hafen von Luxor in alle Himmelsrichtungen wieder auseinander gegangen.

„Ach Pfötchen“, bestätigten sich die Schwestern Pfote gegenseitig, „das war eine wunderbare Woche Abenteuer. Unvergesslich!“
Und dann machten sie sich auf den Weg zum nächsten Bustransfer, der sie für die Folgewoche noch nach Hurghada ans Rote Meer bringen sollte. Neckermann machts schließlich möglich.

Als sie allerdings nach stundenlanger Fahrt durch die Wüste schließlich im Touristenparadies ankamen, mit täglich wechselndem, internationalen Büffett, und die strahlend weißen Handtücher auf den weichen Betten zu ausladenden Schwänen gefaltet waren, – da wurde ihnen schlagartig klar, dass der Urlaub, den sie tatsächlich im Leben nicht geschenkt haben wollten, genau in diesem Moment erst begann.

„You are welcome! Cocktail for you, madam?“

Candy Bukowski

2 Antworten auf “Vom unbezahlbaren Luxus vor Luxor”

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