„Wenn Du jemanden liebst, willst Du ihm Deine Geschichte erzählen.
Und Du willst mit ihm zusammen sein.
Nicht nur, damit Du Deine Geschichte erzählen kannst,
sondern damit die Art, wie er Dich anschaut,
eine neue Geschichte in Dir weckt, etwas anderes aus Dir hervorholt.
Dafür lieben Menschen. Liebe ist, wenn Du spürst,
daß dieser jemand, dieser andere Mensch,
Dir über Dich selbst noch eine andere Geschichte erzählen kann.“
(David Grossmann, israelischer Schriftsteller)
Ich glaube, David Grossmann hat Recht.
Es war mir nur lange nicht bewusst. Von irgendwoher habe ich den allgemein üblichen Gedanken übernommen, daß sich die Geschichte und die Geschichten eines Menschen über den Lauf der Zeit verändern. Darüber, daß wir reifen, uns entwickeln, daß wir in unsere Geschichte hineinwachsen.
Aber das ist viel zu kurz gedacht.
Wir wachsen durch die anderen, aus unseren Geschichten heraus. Über all die neuen Seiten, die sie aus uns herausholen. Wir lieben, um uns zu finden, zu erkennen, um uns komplett zu machen. Über unsere Partner, unsere Wegbegleiter, unsere Familien, unsere Kinder, die Wahlverwandschaften. Gegenseitig. Keiner kann dem Ganzen entgehen. Will ja auch keiner, das ist die große Sehnsucht die uns treibt.
Mit jedem Menschen sind unsere Beziehungen anders.
Jeder holt eine andere, eine zusätzliche Geschichte aus uns heraus.
Er setzt sie nicht hinein. Er holt sie heraus.
Er interpretiert uns neu, diese neue Geschichte macht uns vollständiger.
Und keine haben wir so bereits erlebt, selbst wenn wir versuchen, sie zu wiederholen.
Auch die vergangenen werden anders, wenn wir sie neu erzählen, und verändern sich nochmals, mit der neuen Brille die der andere uns dazu anbietet. Einfach nur dadurch, wie er sie behandelt. Wie uns, als Protagonisten dieser Geschichte. Und als Mensch neben ihm. Wie nahe wir uns aneinander lassen, wie gut oder böse wir füreinander sein dürfen. Um eine weitere Geschichte gezeigt zu bekommen, die wir längst in uns tragen.
Eine, die neu aus uns herausgeholt wird.
Eine, die immer wahr ist. Weil sie so ist, wie wir sind.
In Wahrheit sind wir uns gegenseitig sehende Erzähler füreinander.
Wir retten uns, indem wir uns zuhören, uns wahrnehmen, uns aus-sprechen.
Und mit frischer Liebe aneinander alte Wunden heilen, vielleicht auch neue aufreissen.
Je mehr Geschichten wir in uns tragen, um so mehr Mensch benötigen wir vielleicht, um sie erzählt zu bekommen.
Wir erzählen uns einander, bis irgendwann alle Geschichten gefunden und gelebt sind.
Werde, der Du bist.
Wie konnte ich das nur vergessen?
Candy Bukowski
Da hast Du wieder ein sehr dickes Brett gebohrt. Muss ich sacken lassen, dann kommen bestimmt noch mehr Gedanken. Hast Du Grossman’s Buch „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ gelesen? Ich schrecke noch davon zurück.
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